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Herzensach - Roman

Herzensach - Roman

Titel: Herzensach - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunter Gerlach
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versuchte ihn zu halten. Aber in seiner Wut machte er alles falsch. (Alles richtig.) Entsetzt starrte er auf die große Wunde an seiner linken Hand. Dort, wo einst sein Daumen gesessen hatte, schoß das Blut befreit in einer Fontäne heraus. (Das habe ich nicht gewollt.)

36
    Wenn er von seinem Absturz sprach, stellte er seine Rettung gern als zweite Geburt dar, indem er (lachend) beschrieb, wie man seinen blutigen Körper vorsichtig aus dem zertrümmerten Bauch der Maschine zog. Doch in Wahrheit hatte sich alles ganz anders abgespielt. Für die Wahrheit schämte er sich.
    Sein Überleben verdankte er dem Zufall, aus dem Flugzeug geschleudert worden zu sein. Er erinnerte sich nicht daran, zu diesem Zeitpunkt mußte die Ohnmacht bereits eingesetzt haben. Wahrscheinlich war sein Aufprall durch junge Bäume und Buschwerk gemildert worden. (Soll ich nicht lieber ein paar Witze erzählen?) Als er wenig später zu sich kam, hätte er vielleicht noch andere retten können, denn da war das Feuer noch nicht ausgebrochen. Doch der Anblick des vielen Blutes auf seiner zerfetzten Kleidung hatte ihm einen Schock versetzt. Er hatte sich nicht mehr rühren können und geglaubt, wenn er sich bewege, rissen die Gliedmaßen ab oder sein Rückgrat breche endgültig durch. (Stellt euch das mal vor, das habe ich wirklich gedacht!) Starr vor Angst hatte er auf dem Rücken gelegen und nicht einmal gewagt, den Kopf so weit zu drehen, daß er die Ursache des Prasselns und Knisterns erkennen konnte. Der Kopf hätte ihm ja abfallen können. Wenn es ihm damals nur gelungen wäre, diese Panik zu überwinden, vielleicht hätte er seine Eltern retten können. Vielleicht hatten sie noch gelebt. An dieser Schuld trug er, da nützte es nichts, daß man ihm später versicherte, zu jenem Zeitpunkt seien alle, die im Flugzeug verblieben waren, bereits tot gewesen. Woher konnten sie das so genau wissen? Nie wieder, so hatte er sich geschworen, wollte er in Panik verfallen, und er hatte sich darin geübt, den Anblick von Blut zu ertragen. Denn das war das schlimmste gewesen. Das viele Blut. Sein eigenes. Vielleicht wäre sogar seine eigene Verletzung ohne Spätfolgen geblieben, hätte er sich wenigstens selbst helfen können. So aber hatte er starr dagelegen, war abermals in Ohnmacht gefallen und daraus erst erwacht, als ihn jemand über den Boden zog. Menschen aus dem Wald, Indios hatten um ihn herumgestanden und ihn angestarrt. Sie waren so hilflos wie er. Plötzlich hatte er die Wärme gespürt und zuerst angenommen, daß es das warme Blut auf seiner Haut sei. Doch die Flugzeugtrümmer standen in Flammen, und die Indios zogen ihn weiter von der Absturzstelle weg. Er war noch immer starr vor Angst gewesen, gelähmt von der Vorstellung, eine seiner Gliedmaßen würde zurückbleiben. Erneut war die Ohnmacht gekommen. Grundlos, wie er heute wußte. Und weil das Bewußtsein ihn immer wieder verließ, hatte er angenommen, es hätte Tage gedauert, bis die Rettungsmannschaft kam. Es waren nur sechs Stunden gewesen. (Nie wieder in Panik verfallen.) Selbst im Krankenhaus war die Furcht um sein eigenes Leben noch so groß gewesen, daß der Tod seiner Eltern gar keinen Raum in seinem Denken gewann. Nie wieder in Panik verfallen, hatte er sich geschworen. Seine Verletzungen mochten für das Selbstbewußtsein eines Mannes erschreckende Folgen haben, aber sie waren zu keinem Zeitpunkt lebensgefährlich oder so schwer gewesen, daß er nicht hätte aufstehen, sich selbst versorgen und helfen können. Vielleicht wäre es ihm gelungen, andere zu retten? Was wußten die Ärzte schon vom Moment der Katastrophe? Er war überzeugt, seine Eltern hatten noch gelebt. Waren nur unfähig gewesen, sich zu befreien. Gefesselt von den Sicherheitsgurten. Und dann verbrannt. Wie konnte jemand, der nicht dabei war, behaupten, sie seien tot gewesen? Er hatte gelebt und vor lauter Angst zu sterben nichts getan. (Nie wieder Panik! Schon gar nicht, wenn es nur um das eigene Leben ging. Schon gar nicht vor Dunkelheit und einem alten, als Gefängnis dienenden Brunnenschacht. Ist das klar jetzt?!)
    Jakob Finn tastete die Stahlseile ab, die von den Hebeln zu den Blechen führten. Er spürte ihnen mit den Fingern nach, über Rollen, um den Mauerrand herum in den dunklen Brunnenschacht hinein. Dann hatte er den großen hölzernen Hebel in der Hand, der die Seile arretierte. Er begriff nicht, warum der Pfarrer die Vorrichtung nicht gelöst hatte, wenn er auf dem Gerät hatte spielen sollen. Das

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