Herzensach - Roman
zwischen Hacke und Sohle klebte, sich kaum löste. Es stank. Er fluchte, ging zum Weg zurück, um es an einem Grasbüschel abzustreifen. Es gelang nicht ganz. Er drehte die Stiefel auf dem Schotter hin und her, stampfte schließlich wütend auf, stürmte in das Haus, polterte den Flur entlang bis in die Küche und rief laut: »Marie!«
Der Wirt saß in der Küche, hatte sich gerade ein dickes Stück Schinken abgeschnitten, das noch wie eine Zunge aus seinem Mund heraushing, und seine Beine weit unter dem Tisch ausgestreckt. Er zuckte zusammen, versuchte die Schinkenscheibe hinunterzuwürgen. Beim zweiten Ruf sank sein Kopf zwischen die Schulterblätter.
»Marie Bonnet!«
Beim Anblick Peter Wischbergs hoben sich die Brauen des Tischlers, um sich gleich darauf zusammenzuziehen. »Du! Was machst du hier?«
Der Wirt begann zu stottern, spuckte den Schinken aus und versuchte hochzukommen. (Der halbdurchgekaute Schinken krümmte sich wie ein Tier auf seinem Hosenbein.) Thomas Timber stützte sich mit den Fäusten auf dem Tisch ab und neigte sich vor, als wolle er sich in der nächsten Sekunde auf Peter Wischberg stürzen.
»Wo ist Marie?« brüllte der Tischler, und Peter Wischberg rutschte vor Schreck wieder unter den Tisch, dabei hatte er es fast geschafft gehabt, eine aufrechte Sitzhaltung einzunehmen.
»Himmel! Was ist los mit dir?« endlich hatte der Wirt seine Stimme wieder. Sie war voller Speck.
»Was ist los? Was ist los? Du ahnungsloser Idiot bist doch an allem schuld. Wo ist Marie?«
»Ich, aber ich stelle es nur her, ich meine, wenn der, also wenn der zuviel davon ...«
»Halt's Maul. Es fing schon damit an, daß du den Studenten ...« Der Tischler bremste sich. Schließlich beherbergte er jetzt selbst den Studenten, auch wenn der Wirt ihm zuerst Unterkunft geboten hatte. Er schlug mit der Faust auf den Tisch. »Wo ist Marie?«
Peter Wischberg gelang es endlich, sich im Stuhl hochzuziehen. »Die anderen sind da drinnen.« Er zeigte mit dem fettigen Daumen auf eine Kammertür. »Marie ist draußen.« Er drehte den anderen Daumen (ebenso fettig) in Richtung der Tür zum Garten.
»Du bleibst, bis ich wiederkomme!« befahl der Tischler. »Ich habe noch ein Wörtchen mit dir zu reden.«
Die junge Bauersfrau erwartete den Tischler mit einem breiten Grinsen. Sie stand hinter einer Reihe von Johannisbeersträuchern. Dann duckte sie sich und lief gebückt in Richtung Stall.
»Marie! Hör auf damit!« Der Tischler versuchte ihr den Weg abzuschneiden, doch Marie verschwand mit einem spitzen Schrei im Stall. Thomas Timber setzte ihr nach, erreichte sie, packte sie am Arm und drückte ihr die Hand auf den Mund.
»Bist du wahnsinnig«, fauchte er. »Das Haus ist voller Leute.« Vorsichtig gab er ihren Mund frei.
»Küß mich, tu mir weh, bestraf mich«, hauchte sie.
»Es ist jetzt nicht die Zeit für unsere Spielchen.«
»Vielleicht wacht er ja nie wieder auf.« Marie schmiegte sich an den Tischler.
»Schluß jetzt.« Er stieß sie zurück. »Weiß irgend jemand etwas von uns?«
Sie schüttelte den Kopf. »Komm.« Sie deutete nach oben auf den Zwischenboden, von dem Stroh herabhing.
»Du spinnst wohl.« Er funkelte sie wütend an, wandte sich ab und verließ den Stall. Er marschierte in die Küche zurück und trat, ohne den am Küchenfenster lehnenden Wirt eines Blickes zu würdigen, in die Kammer ein.
Zwei Nachbarn standen um das Lager des noch immer bewußtlosen Bauern. Sie schienen es mit einem ätherischen Öl versucht zu haben, denn es roch nach einer Mischung aus Minze und Kampfer. Die beiden machten ihrem Bürgermeister Platz.
»Seit wann ist das so?« fragte Thomas Timber und beugte sich über den Bauern, dessen Gesicht zu seiner Überraschung nicht bleich, sondern ziemlich rot war.
»Gestern. Seit gestern. Der Student hat ihn gefunden.«
Der Tischler heulte auf. »Auch das noch. Langsam wird er wirklich zum Problem.« Er berührte die Gesichtshaut des Ohnmächtigen. »Was habt ihr mit ihm gemacht?«
»Das Übliche.«
»Was?«
»Zuerst an den Füßen aufgehängt. Es hat nichts gebracht, und vorhin das Öl auf das Gesicht getropft.«
»Und davon ist sein Kopf so rot?«
»Man muß das Öl drauftropfen und dann mit der flachen Hand in die Haut einschlagen. Weißt du doch.«
Thomas Timber richtete sich auf. »Was ist mit Doktor Andree?«
»Er ist nicht eingeweiht.«
»Aber wenn er nicht wieder aufwacht?«
»Wer soll das entscheiden?«
»Ich. Wenn er bis heute abend nicht wach ist, holt
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