Herzensach - Roman
Buch?«
Auf einem Regal lag ein großes, in schwarzes Leder gebundenes Buch mit in Silber geprägter Aufschrift »Das Pedus-Schwert«. Es war die Chronik der Familie Pedus von 1604 bis Anfang dieses Jahrhunderts. In jedem Zweig der Familie hatte es in jeder Generation einen gemeinen Verbrecher und skrupellosen Mörder gegeben. Jeder von ihnen hatte vor seinem Tod das Pedus-Schwert an den nächsten weitergegeben, der dann ebenfalls zum Mörder wurde.
Jakob überflog die Geschichten und betrachtete die grafische Darstellung des Stammbaums. Das Buch war vor zwanzig Jahren in einem angesehenen Verlag erschienen.
»Dann ist es doch wahr!«
»Nein. Es ist eine Fälschung. Mein Mann hat es hergestellt. Es gibt nur drei Exemplare dieses Buches. Eines hat die Familie van Grunten bekommen, eines liegt im Wirtshaus – für alle. Verstehen Sie, es ist unsere Lebensversicherung.«
Jakob schüttelte verunsichert den Kopf. Er wußte nicht, ob er der Frau glauben sollte.
»Gehen Sie jetzt«, drängte sie. »Sie sind schutzlos. Schleichen Sie zurück zum Brunnen und verstecken Sie sich darin. Es ist das beste.«
Jakob stand auf und schob den Vorhang des Fensters etwas zurück. Auf der Straße ging eine Frau mit großen Schritten vorbei. Als sie in den Lichtkegel einer Laterne trat, glaubte er Katharina zu erkennen.
»Verschwinden Sie, bevor Sie begreifen, was ich Ihnen erzählt habe!«
37
Lisas Wut über den verlorenen Gefangenen war groß. So groß, daß sie sich schließlich nicht anders zu helfen wußte, als einen Schmerz dagegenzusetzen. Sie überlegte, sich selbst erneut mit einer Bratpfanne auf den Kopf zu schlagen – was einmal sehr weh getan hatte, würde es auch ein zweites Mal tun, doch sie wollte nicht noch mal in Ohnmacht fallen, also hockte sie sich auf den Küchenboden und ritzte sich mit dem Küchenmesser ein blutiges Kreuz auf jedes Knie. Der Wutkrampf in ihrem Kopf löste sich, und es gelang ihr, einen Plan zu fassen. Es gab nur einen Weg: Sie mußte den Studenten umbringen. Und wenn ihr das nicht gelang, mußte sie Wilhelm Weber umbringen. Und wenn ihr, das nicht gelang, mußte sie Sabine Weber umbringen. Die war schließlich an allem schuld. Auf jede Mark, die Lisa von Wilhelm Weber bekam, legte seine Frau noch eine darauf.
»Es gibt nur eine Möglichkeit, nicht überrollt zu werden, man muß die Lawine sein«, hatte ihre Mutter ihr eingeprägt. Jedes Jahr hatte der Hausputz mit diesem Satz begonnen. Sie und die Mutter waren die einzigen in der Familie, die richtig arbeiteten. Sie hatten einen Bauernhof, aber nur wenige Schafe und ein paar Ochsen auf der Weide. Niemand bestellte das viele Land. Manchmal kamen Bauern aus Ehrenfelde, mähten das Gras und nahmen es gegen geringes Entgelt mit. Der Vater tat nichts. »Das Land nährt nur die zweite Hand«, pflegte ihr Vater zu sagen. Das verstand sie heute noch nicht. Manchmal verschwand er für ein paar Tage und kam mit Geld zurück. Dann gingen sie zusammen in Weinstein einkaufen. Jeder bekam etwas Neues. Die Mutter ein buntes Kleid, der faule Bruder ein Funktelefon und Lisa ein Messer. Sie liebte Messer.
Zwei große Schränke voll besaß sie schon. Schränke, die der Tischler extra angefertigt hatte, mit flachen Schubladen, in denen jedes Messer seine gepolsterte Mulde besaß. Es waren wohl schon über zweitausend Exemplare. Es gab so viele verschiedene und historisch bedeutsame Stücke, daß sie ihr ganzes Leben lang sammeln konnte, ohne jemals an ein Ende zu kommen. (Haben Sie jemals überlegt, wie Brutus' Messer ausgesehen hat und wo es hingekommen ist?)
Sie beobachtete das an ihren Knien herunterlaufende Blut, bis es gerann. In einem Knie schien generell nicht viel Blut zu sein, zu wenig, um bis auf den Fußboden zu laufen, doch die geronnenen Bahnen gaben für eine Kniebemalung, wie man sie zu einem Mord trug, ein gutes Bild ab.
Natürlich mußte man sich bemalen. Es war nicht zur Tarnung. Man wurde jemand anderes. Niemand konnte einer Bemalung ansehen, wer herausschaute. Sie würde sich ausziehen und ganz und gar bemalen. Sie durchsuchte die Küche, das Bad, das Schlafzimmer nach Farben, mit denen sie sich bemalen konnte.
(Die Farbe Weiß:) Einmal war der Vater in Eile nach Hause gekommen und gleich darauf zum Arzt .gegangen. Als er von dort zurückkam, mußten ihn zwei Männer stützen, denn ein Bein war in Gips. Er hatte sich in seinen Sessel gesetzt und Lisa aufgefordert, den Gips zu bemalen. Später waren Polizisten gekommen, um den Gips zu
Weitere Kostenlose Bücher