Herzensach - Roman
um und es sei doch dem Sonntagabend vorbehalten. Aber er war nicht der Mann, der protestierte, wenn er Geld verdienen konnte. Zwar hatte die Runde im Hinterzimmer zu seines Vaters Zeit eine Art Monopol auf den Ausschank besessen, doch Peter Wischberg verkaufte das Heilwasser schon immer allen, tags und nachts und auch außer Haus. Schließlich wußte jeder, der es verlangte, was es war, und deshalb, so glaubte der Wirt, könne man ihn nicht haftbar machen. Bisher hatten auch nur der Förster und der Pastor gegen den Verkauf protestiert, wobei man die beiden, ebenso wie den Arzt, über die eigentliche Zusammensetzung im unklaren gelassen hatte. Förster und Pfarrer glaubten, es handle sich um schwarzgebrannten Schnaps mit gefährlich hohem Alkoholgehalt. Der Arzt war sogar der Überzeugung, es handle sich nur um unreines Wasser aus dem Tiefbrunnen, weil der Gutsherr ihm gegenüber einmal von Voodoozauber gesprochen hatte. (Er wußte sehr wohl, was es war.) Alle Heilwassertrinker fürchteten, diese drei Ortsfremden würden den Genuß des Wassers energisch bekämpfen, wenn man ihnen die Wahrheit sagte. Der Wirt lächelte bei dem Gedanken, daß jemand die Mischung des Heilwassers verraten könnte. Ende der siebziger Jahre war ein Bauernsohn tot aus dem Lichter Moor gezogen worden. Peter Wischberg hatte ihn gut gekannt, war mit ihm zur Schule gegangen. Selbstmord hieß es offiziell, doch die Runde im Hinterzimmer betonte immer wieder drohend, er habe eine Flasche Heilwasser einem Studenten in Hannover zur Analyse geschickt, und dafür gebe es nur eine Strafe. Peter Wischberg zweifelte an dieser Version, aber sie wirkte.
Das Geheimnis des Heilwassers blieb eines, dabei war es banal.
Der Wirt ging zu seiner Mutter in die Küche. »Hinten wollen sie Heilwasser.« Er öffnete den Deckel des Topfes, vor dem sie stand, und betrachtete die im Wasser kreisenden Würstchen. »Schon warm?«
Luise Wischberg nickte. Blitzschnell griff er mit zwei Fingern in das heiße Wasser, schnappte eines der Würstchen (Webers?) und steckte es sich zwischen die Zähne, wobei er die Lippen nach außen wölbte, um sich nicht zu verbrennen.
Die Mutter hob die Hand, um einen möglichen Schlag anzudeuten. »Jetzt hab ich eines zu wenig!«
»Hol neue aus dem Lager und bring das Heilwasser mit.«
»Es ist nicht mehr genug da, nur noch zwei Flaschen.«
»Dann mach neues!«
»Und wer macht das Essen?«
»Dann gibt es nichts zu essen. Ich sage draußen, daß die Küche schließt.«
Die Mutter schüttelte den Kopf. »Laß nur. Ich schaffe das schon. Ich bringe denen das Wasser.«
Hastig stopfte sich der Wirt das Würstchen in den Mund. Kauend ging er zurück. Der Lärmpegel in der Gaststube war gestiegen, aber alle waren friedlich. Peter Wischberg stützte sich auf der Theke ab und sah zufrieden in die Runde. Er überschlug, daß fast ein Viertel der Dorfbewohner anwesend war. Aus allen alten Familien hatte sich mindestens einer eingefunden. Seltsam, daß sich im Lauf der Zeit die Bevölkerung im Tal nur unwesentlich vergrößert hatte. Selbst im vergangenen Jahrhundert, als man rundherum in den Dörfern noch zehn, zwölf Kinder bekam, waren in den Herzensacher Familien in der Regel nur zwei geboren worden. Es gab keine Abwanderer, und sehr selten versuchte jemand von außerhalb in das Dorf zu ziehen. Bei dieser begrenzten Gemeinschaft blieben für einen Wirt die Verdienstmöglichkeiten ohne große Steigerung. Aus dem Stimmengewirr hörte Peter Wischberg das Wort Ferienhaussiedlung heraus. Es kam vom Bäcker. Der Wirt zog sich an der Theke hoch und ging langsam auf den Tisch zu, um sich in das Gespräch einzuschalten.
»Der Ferienpark Bergsee hat Probleme«, hörte er.
»Der ist auch viel zu groß«, mischte er sich ein.
»Ich spreche nicht von deinem idiotischen Plan. Die wollen den schließen, wegen der zahllosen Einbrüche. Jedes Jahr können die ihre Fernseher erneuern. Jetzt werden sogar die Wasserhähne und Heißwasserboiler abgeschraubt.«
Einige lachten.
»Genau das würde hier nicht passieren.« Der Wirt grinste triumphierend.
»Eben. Begreifst du nicht, was das heißt?« Der Bäcker griff sich mit beiden Händen an den Kopf.
»Natürlich. Die Leute würden sich hier sicher fühlen.«
»Du Idiot. Das Ergebnis wäre, daß Fremde hier siedeln wollen. Vorher aber, mein Lieber, würde die Polizei sich fragen, warum hier so etwas nicht geschieht? Das ist nämlich genauso verdächtig, als wenn es geschieht. Es ist noch viel
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