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Herzensach - Roman

Herzensach - Roman

Titel: Herzensach - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunter Gerlach
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verdächtiger. Und dann möchte ich dich mal sehen!«
    Der Wirt schüttelte den Kopf. »So ein kompletter Blödsinn.« Er wandte sich ab. »Du hast nur Angst, daß jemand deine Tochter betatscht.«
    Der Bäcker sprang auf, hielt ihn fest. »Du weißt, daß wir nicht ohne Grund etwas gegen Fremde haben«, schrie er. Leiser setzte er fort: »Ich weiß es aus meiner Filiale in Weinstein: Fremde sind Feinde. Sie wollen, daß du ihr Brot backst und ihr Brot ißt. Sie versuchen dich zu betrügen, zu unterdrücken, dich ihrer Lebensart untertan zu machen. Und die willst du ins eigene Boot holen? Dann kannst du gleich nach einer Polizeistation in Herzensach rufen!« Der Bäcker ließ von ihm ab und setzte sich wieder. Sein Ausbruch aber hatte genügt, die meisten Gäste verstummen zu lassen.
    »Er hat recht!« ergänzte jemand.
    »Warum soll ich einem Schwein mit dem Messer hinterherlaufen, wenn es auch zu mir kommt«, sagte der Wirt und hinkte zur Theke zurück. »So sieht es doch aus!«
    »Ein Schwein im Garten zerstört die Gemüsebeete«, setzte ein Bauer dagegen.
    »Dann sperrt man es eben in den Stall«, giftete der Wirt zurück.
    An einem Tisch im hinteren Teil der Gaststube erhob sich einer mit rotem Gesicht. »Wer schlachtet denn die Schweine? Du etwa? Du frißt doch nur den Schinken. Die Arbeit machen wir – na ja, oder sagen wir mal: andere. Aber unsere Sicherheit ist es, hier im Dorf unter uns zu bleiben. Wenn dir das nicht gefällt, kannst du ja gehen.« Er setzte sich wieder. »So einfach ist das!«
    Alle drehten sich zum Wirt um, der hob ergeben die Arme. »Schon gut. Schon gut.«
    Er hangelte sich an der Theke entlang zu dem Schrank mit den Herzensacher Likören. »Ich geb einen aus.«
    Seine Gäste wandten sich von ihm ab, nahmen ihre Gespräche wesentlich leiser wieder auf, aber ihre Augen hatten sich verengt. Der Wirt spürte die Spannung und tat das Falsche. Er beeilte sich, die Likörflaschen aus dem gläsernen Schrank zu holen und auf der Theke zusammen mit Likörgläsern aufzustellen. »Zur freien Auswahl!« rief er fröhlich.
    Es war das Stichwort für einen seiner Gäste (Fraktion: Verschweigt Herzensach!), erregt aufzuspringen. »Damit hat es doch angefangen, mit deiner Dummheit, diese Liköre herzustellen, und dem Versuch, sie überall zu verkaufen. Zum Glück bist du auch dazu zu blöd. Da steht doch der Name Herzensach darauf! Vielleicht sollte man dir den Verstand mal ins Gehirn prügeln!« Der Mann war vorgesprungen und riß einen Teil der Likörflaschen von der Theke. Ein zweiter hatte sich dem Glasschrank genähert, hob plötzlich seinen schweren Schuh und rammte ihn gegen die Scheibe; als sie nicht zerbrach, nahm er einen Stuhl und schlug damit auf den Schrank ein. Weitere Gäste waren aufgesprungen, schimpften auf den Unverstand des Wirts und machten sich über den Likörschrank her.
    Während die Flaschen ausliefen, das Glas und die Holzleisten unter den Füßen zersplitterten, die Beleuchtung Funken sprühte und verlosch und die krönende Messinggußschrift zerbrach, drückte der Wirt sich blaß und mit angstvoll geöffnetem Mund an die Tür zur Küche. Ohnmächtig mußte er mitansehen, wie sein ganzer Stolz in Trümmer fiel. Immer mehr Gäste beteiligten sich an der Zerstörung des wertvollen Schrankes, wurden dabei von den anderen angefeuert, bis nur noch ein flacher Haufen aus Glas und Holzsplittern neben der Theke übrigblieb, aus dem klebriger Saft tropfte, und die Akteure erschöpft innehielten.
    Zwar hatte es einige Gäste wie Jürgen Vietel oder den Bäcker gegeben, die halbherzig gegen die Zerstörung protestiert, schließlich aber schadenfroh zugesehen hatten. In dem sich anschließenden Augenblick völliger Stille erkannte der Wirt, daß unweigerlich ein weiterer Ausbruch von Wut folgen würde, und in seiner Verzweiflung versuchte er, die Menge von sich abzulenken. Tränen standen ihm in den Augen, und er war kaum Herr seiner Stimme, er schnappte nach Luft und schrie schrill: »Der Student ...!«
    Eigentlich hatte er sagen wollen, der Student sei an allem schuld, doch die Stimme versagte ihm, auch seine Knie hielten ihn nicht mehr aufrecht. Er sank an der Küchentür zu Boden, ihm wurde es schwarz vor Augen, und so sah er nicht mehr, wie einige sein Stichwort aufgriffen und hinauseilten und Jürgen Vietel sie vergebens zurückzuhalten versuchte.

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    In dem Augenblick, als Jakob Finn sich vom Wagen abwandte, um die Straße zu überqueren, begann die Luft vor seinen Augen zu

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