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Herzensach - Roman

Herzensach - Roman

Titel: Herzensach - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunter Gerlach
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verließen langsam die Bänke.
    Pedus spürte, daß Rudolf seine Beobachtungsposition aufgab, in seinen Körper zurückkehrte, und die Made in seiner Luftröhre schnitt ihm endgültig das Wort ab, trieb ihm nur weiter, immer weiter das Wasser in die Augen. Kein Lied, kein Amen beendete diesen Gottesdienst, sondern die dumme Provokation eines Heiden, der auf dem Nachhauseweg jeder schwarzen Katze, die von links kam, aus dem Wege gehen würde. Aber vielleicht war noch nicht alles verloren. Am Kirchentor staute sich die Menge. Die Vorderen stemmten sich mit breitem Rücken gegen die Nachdrängenden. Etwas war anders, verhinderte, daß die Menschen ins Freie traten.
    Rudolf Pedus quetschte sich das Wasser aus den Augen und aus dem Gesicht, hob seinen Talar, stürmte die Kanzel hinunter und verließ die Kirche durch die kleine Seitentür. Draußen atmete er tief und befreit, dann rannte er nach vorn. Und sah das Wunder.
    Unschlüssig, verwirrt und mit großen Augen standen die Herzensacher auf der kleinen Plattform vor dem Ausgang, als hätte jemand ein unsichtbares Seil gespannt. Als wären sie Kühe hinter einem Elektrozaun.
    Pedus verschränkte zufrieden die Arme, das mußte Gottes Strafe sein. ER ließ sie nicht mehr aus der Kirche! Wie wunderbar. Doch ein Zweifel kam, denn er erinnerte sich an einen Film, in dem Ähnliches geschehen war. (Wie hieß der noch ... Der Regisseur war ...?)
    Immer voller wurde die Plattform. Sie faßte nicht alle, die aus der Kirche herauswollten. Sie drängten sich eng aneinander, stießen und schubsten einander, schimpften verhalten. Brummten wie ein Hornissenschwarm, der seinen Feind nicht fand. Ratlosigkeit rauchte aus der schwankenden Menge. Einer, jener dünne, der mit seiner frechen Bemerkung das jähe Ende hervorgebracht hatte, stürzte von der Kante der Plattform und landete vor den Füßen des Pastors. Er stand auf, klopfte sich ab.
    »Es ist ja nur des Vergnügens wegen«, murmelte er und sah den Pfarrer unterwürfig an. »Gott hat sein Vergnügen gehabt. Kann er nicht mal wegschauen, damit wir das unsere bekommen?«
    Jetzt erkannte Rudolf Pedus an den ins Leere gehenden Gesten der durch ein unsichtbares Band Festgehaltenen, warum sie sich nicht von der Plattform herabtrauten, und beschloß, es für sich auszunutzen. »Und wenn ihr dem Studenten etwas antut, wird Trivial niemals wiederkommen!« bellte er. Es war das Amen. Er drehte sich um und ging ins Pfarrhaus. Hustete noch einmal kräftig in seine Hände und entdeckte entsetzt eine kleine Made im glibberigen Schleim auf seiner Handfläche. (O Gott, es war doch nur ein Vergleich!)
    Die Unruhe der Menge vor der Kirche steigerte sich noch. Keiner wagte den Platz zu verlassen, ohne Trivials Ohren berührt zu haben. Warum kam er nicht? Warum saß er nicht an seinem Platz? Ob er ihnen wirklich zürnte? Ob er vielleicht Gott war? Oder der Teufel? Ein Engel oder ein Höllenhund? Wenn einer alles über sie wußte, wenn einer alle ihre Geheimnisse kannte, so war es Trivial. Einem Menschen hätten sie soviel Einblick in ihr Leben niemals erlaubt, eher hätten sie ihn umgebracht. Trivial war der Teufel, nur der konnte sich ihnen entziehen, und mit dem mußte man sich dringender versöhnen als mit den Mächten des Guten. Gott konnte vergeben, man mußte ihn nur darum bitten. Aber wie besänftigte man die Wut des Teufels? Dafür gab es kein Rezept.
    Immer enger wurde es auf dem steinernen Vorplatz, und mancher kam sich vor wie auf einem Floß im vor Haien kochenden Meer. Das Glück hatte sie verlassen. Die gierigen Raubfische zeigten ihren Schlund. Eine Frau schrie, weil sie glaubte, die Plattform neige sich. Alle klammerten sich angstvoll aneinander und jammerten und weinten.

48
    Das erste, was er wahrnahm, war die Kälte, dann hörte er die Kirchenglocken, und schließlich stellte sich unbändiger Hunger ein. (Zweimal gebratenes Fleisch mit Bambussprossen, nein, Lammsuflaki mit gedünstetem ... nein, Spaghetti mit Öl und Knoblauch und vorweg ... nein, einfach nur frisches, warmes Brot und einen großen Becher Milch!)
    Für einen Moment wunderte er sich, daß er nackt auf einem Tisch lag. Sollte er zubereitet und gekocht werden? Schließlich erkannte er den Operationstisch und fror bei der Berührung des Metalls. Er setzte sich auf, und erst jetzt fiel ihm ein, was der Arzt mit ihm vorgehabt hatte. Erschrocken kontrollierte er seinen Körper. Es gab jedoch keinen Schnitt in seiner Haut, keine frischvernähte Wunde. Leichter Schwindel

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