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Herzensach - Roman

Herzensach - Roman

Titel: Herzensach - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunter Gerlach
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Maul zerreißen – oder Sie umbringen.«
    Sie öffnete die Flasche und goß zwei kleine Gläser voll. »Es ist echter Herzensacher Likör, Sorte ›Bumsfidele Brombeere‹. Mein Sohn stellt das Zeug her, aber ich passe auf, daß er nichts Unrechtes hineintut, das ist ihm nämlich zuzutrauen. Er ist ein miserabler Wirt.«
    Das Etikett der Flasche zeigte einen von Brombeerranken umrandeten Ausschnitt von Herzensach. Im Zentrum des Bildes stand der Gasthof. »Herzensacher Likör – Bumsfidele Brombeere nach altem Familienrezept« stand in goldener Schrift darüber. Sie prosteten einander zu, und er mußte ihr versprechen, sie über seine Eindrücke vom Dorf auf dem laufenden zu halten.
    »Wenn Sie die Möglichkeit hätten fortzuziehen«, fragte er, »würden Sie es tun?«
    Sie stutzte. »Sie sind mir einer«, sagte sie und verschaffte sich damit Bedenkzeit. »Sie werden lachen, aber ich würde bleiben, weil ich sehen will, was mit Ihnen geschieht.«
    Sie beugte sich über den Tisch und senkte die Stimme. »Tun Sie mir einen Gefallen, und suchen Sie sich ein anderes Quartier, auch wenn ich Sie gern im Hause hätte. Ach was, ich werde einfach etwas für Sie besorgen.« Sie wurde ernst, schwieg eine Weile, schließlich seufzte sie. »Ich muß Sie warnen, kommen Sie niemals sonntags abends in die Gastwirtschaft. Niemals. Versprechen Sie mir das.« Sie legte wieder ihre Hand auf seinen Arm.
    Er wollte gerade nachfragen, was denn an den Sonntagen so Schreckliches geschehe, da dröhnte es von draußen, als würde jemand einen riesigen Gong schlagen.
    Die Mutter des Wirts legte die Hände auf die Ohren.
    »Das ist der verrückte Pastor Pedus. Er spricht wieder mit Gott!«

7
    Wilhelm Weber ließ den Groschenroman fallen, den er gestern abend begonnen und heute früh zu Ende gelesen hatte. Er liebte diese Romane, in denen arme Mädchen reiche Männer bekamen. Er trug noch seinen seidenen Schlafanzug und streckte sich geräuschvoll vor dem großen Fenster seines Bungalows. Danach sank er in sich zusammen und drückte den Kopf gegen die Glasscheibe. Die Kälte auf der Stirn tat ihm gut. War er nicht genauso gutmütig, gütig, herzensgut wie der Glühlampenfabrikant Doktor Wolfram Eschenburg in Ein Herz leuchtet in der Dunkelheit? Warum aber unterschied sich sein Schicksal von dem im Roman geschilderten?
    Von hier oben konnte er über alle Häuser des Dorfes hinwegsehen. Nur das Gutshaus auf der anderen Seite – seiner Meinung nach ein mißlungener Bau, dem man seine Architektur nur wegen seines historischen Alters verzieh – schien sich in der Höhe mit seinem Bungalow messen zu wollen. Alles wirkte leblos. Endlich nahm er eine Bewegung wahr. Unten umrundete jemand den Dorfteich. Der Dorfhund folgte ihm. Der Wurstfabrikant preßte seine Stirn fester gegen das Glas. Er betrachtete die lange Auffahrt, die, zwischen den beiden alten Katen hindurch, von der Cornelius-van-Grunten-Straße zu den Säulen seines Bungalows heraufführte.
    »Cornelius, ha!« sagte er laut. »Eigentlich bin ich hier der Pirat.« Er dachte daran, wieviel Widerstand zu überwinden gewesen war, bis die Herzensacher den Bauplänen seines Hauses zugestimmt hatten. Schon gegen die Lage gab es erhebliche Bedenken, sollte sein Haus doch auf einer Anhöhe stehen und so von vielen Punkten des Dorfes aus zu sehen sein. Das Murren, das entstand, als er den Entwurf des Architekten für den Flachbau mit den zwölf Zimmern vorlegte, hatte er noch im Ohr. Die Herzensacher mochten ihn nicht. Noch immer mußte er um Anerkennung kämpfen. Wilhelm Weber lachte. Natürlich war er ein Banause, ein Kulturbanause. Ein Pirat, der sich nahm, was ihm gefiel. Griechische Säulen vor einem modernen Bungalow (der aussah wie eine Würstchenbude)! Stillos? Na und, wenn es ihm so gefiel. Liebe Leute, wenn ihr das nicht akzeptieren könnt, dann bekommt eure Cornelius-van-Grunten-Straße keinen Asphalt und bleibt weiterhin ein Schlammloch. Daß er die Straße, die zu seinem Anwesen führte, so oder so hätte asphaltieren lassen, brauchte niemand zu wissen. Die griechischen Säulen waren eine Machtfrage. Wen interessierte da schon die Ästhetik?
    Er stieß sich von der Scheibe ab und betrachtete den Fettfleck, den seine Stirn hinterlassen hatte. Seine Umrisse erinnerten an die von Australien. Nein, ganz so dumm, wie man ihn gern haben wollte, war er nicht. Er wollte eben in den Kraftraum gehen, als er sah, daß sich die Hintertür einer der Katen an der Einfahrt öffnete. Seine Frau trat

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