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Herzensach - Roman

Herzensach - Roman

Titel: Herzensach - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunter Gerlach
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heraus und ging in den üppigen Gemüse- und Blumengarten. Er beobachtete, wie sie Gartengeräte bereitstellte und eine Gießkanne füllte. Wenn er jetzt zu ihr hinunterging und sie in den Arm nahm, war das sein sicherer Tod.
    Wilhelm Weber kannte seine Stärken und Schwächen ganz genau. Er besaß keine Bildung, keine Depressionen und stand mit der deutschen Sprache auf Kriegsfuß. Manchmal verwechselte er mir und mich. Was kann man schon von einer Volksschulbildung ohne Abschluß verlangen? Und wozu die ganze Schule? Seine starken Arme waren in der Familienschlachterei in Weinstein dringend gebraucht worden. Da kam endlich einer mit der Statur eines Schlachters. Sein Vater, mager und magenkrank, hatte mit dem kleinen Geschäft die Familie kaum ernähren können. Groß und übermächtig schien die Konkurrenz am Ort, hatte seinem Vater einen Preiskampf aufgenötigt, der mit Ursache für seine Krankheit war. Dann kam Willi. Er hatte es allen gezeigt. Als erstes engagierte er zwei Schüler, die für ihn täglich vor die Läden der Konkurrenz kotzten. Schade, daß der Vater es nicht mehr erlebte. Aber dem wäre bloß schlecht geworden.
    Er war kein guter Schüler und froh darüber gewesen, früher abgehen zu können. Na und? Was war denn aus dem Klassenbesten geworden? Eine graue Maus auf dem Amtsgericht in Weinstein. Er hatte aus Vaters Schlachterei eine Wurstfabrikation gemacht. So machte man das im Leben: Ellbogen raus und zwei Schilder umgehängt. Eins vorn, eins hinten: »Webers Würstchen – Wunderbar!« Man kannte ihn im ganzen Kreis, respektierte ihn, fast so, wie man die van Gruntens respektierte. Dabei waren die gar nicht von echtem Adel. Jemand hatte ihm erzählt, in Holland sei das »Van« eine gewöhnliche Bezeichnung gewesen, um die örtliche Herkunft zu bestimmen. Aber wozu Neid oder Eifersucht entwickeln? Schon gar nicht, wenn alles nur ererbt war. Er vertraute auf seine Tatkraft, und sie war es, die auch bei anderen zählte. Was nützten Bildung und Tradition, wenn es einem Menschen an Aktivität, Entschlußkraft und Risikobereitschaft mangelte? Nein, der moderne Pirat weit und breit war er. »Entern wir den Laden«, rief er am Schluß der Sitzungen seinen allzu braven Leuten zu, wenn es darum ging, sein Verkaufsgebiet auszuweiten oder die Dominanz seiner Würstchen in Weinstein und Umgebung sicherzustellen. Und nach Piratenmanier machten sie sich Mut, indem sie gemeinsam in ein »Heureka, zum Angriff!« ausbrachen. Er liebte diesen Augenblick. Eine platte Zeremonie, die doch immer wieder Wirkung zeigte, ein Gemeinschaftsgefühl herstellte und seine Männer motivierte. (Er hatte es aus Das Segel meiner Träume, Band 55 der Reihe ›Freibeuter der Liebe‹. Eine wirklich gute Geschichte, in der ein Korsar aus Liebe zu einem Mädchen an Land bleibt, mit einer Knopffabrik Erfolg hat, bis ihn seine Vergangenheit einholt und er mit Caroline ein neues Leben auf einer karibischen Insel beginnen muß.)
    Niemand konnte an ihm, Wilhelm Weber, vorbei. Nur Jan van Grunten schaffte es mit seiner Ironie. Die meisten Bauern weit und breit züchteten Schweine für ihn. Jeder suchte seine Freundschaft. Gut, er bezahlte dafür. Seine Großzügigkeit war bekannt. Wenn es mir gutgeht, soll es den anderen auch gutgehen, nach dieser Devise gab er seinen Arbeitern – die fast alle aus Weinstein kamen – mehr, als die Gewerkschaft verlangte, und die Bauern bekamen für ihre Schweine mehr als bei der Konkurrenz. Seine Methode, für jedes Schwein ein Prämie zu zahlen, das in den letzten acht Wochen vor der Schlachtung nicht mit Pharmazeutika behandelt worden war, galt als vorbildlich, auch wenn man dies nicht an die große Glocke hängte, um nicht auf alle jene Mittel aufmerksam zu machen, mit denen Mastschweine vorher behandelt wurden. Den Slogan »Webers Mastschweine sind drogenfrei!« hatten ihm erst die Kollegen von der Schlachterinnung mit politischen Argumenten ausreden können. Er war nach wie vor von der Richtigkeit der Aussage überzeugt.
    Wilhelm Weber zog seinen seidenen Schlafanzug aus und warf ihn in einen Sessel. Er war zum Mäzen geworden. Ein historischer Bauernhof war mit seiner Hilfe erhalten und renoviert worden. Das Heimatmuseum in Weinstein war sich der jährlichen großzügigen Spende sicher. Und wenn es darum ging, Herzensach zu verschönern, stieß der Bürgermeister bei ihm auf einen offenen Geldbeutel. Nur Jan van Grunten ließ sich nicht beeindrucken.
    Seiner Frau zuliebe kaufte er für die Büro-

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