Herzensach - Roman
verlangen würde! Und mehr noch, er würde auswandern in ein fernes unzivilisiertes Land, um in einer primitiven Hütte ein neues Leben zu beginnen, wenn nur sie bei ihm wäre. (Es wäre doch gelacht, wenn er nicht überall eine Wurstfabrik aufbauen könnte!)
Wilhelm Weber kannte seine Stärken und Schwächen. Es war nicht seine Art, sich in traurigen Gedanken zu verlieren, er war ein Mensch der Tat. Richtig. Sei ein Mensch der Tat! sagte er zu sich, schob die große Glastür zur vorderen Terrasse auf und ging die Einfahrt hinunter. Alles war wie in Ein Herz leuchtet in der Dunkelheit: Der schlanke Körper seiner Frau bewegte sich anmutig durch die hüfthohen bunten Blumen. Ein dumpfer Schmerz zog bei diesem Anblick durch seine Brust. Sie bemerkte sein Herannahen nicht, bis er sich mit kraftvollem Schwung auf die kniehohe, weiße Mauer stellte, die den Blumengarten von der Rasenfläche abtrennte. Sie nickte ihm mit einem kaum wahrnehmbaren Lächeln zu.
»Schönen guten Morgen, Sabine!« Er erschrak über seine rauhe Stimme und räusperte sich. Der ganze Zauber verschwand.
Sie nickte nur, wandte sich ab, um nach der Gießkanne zu greifen.
»Hast du schon gefrühstückt?«
Sie hob abwehrend die Hand.
»Ich dachte nur, daß du vielleicht Lust hast, mal wieder bei ... daß wir mal wieder zusammen frühstücken könnten?«
»Willi, ich bitte dich!« Ende des Gesprächs.
»Ach Gott, Sabine, ich kann dieses Leben ohne ...«
»Willi!« Eine dunkle Drohung. »Du nervst!« Das Aus.
»Kann ich nicht irgend etwas ...«
Sie ging den Weg zwischen den Blumenbeeten zurück, wahrscheinlich, um eine Waffe zu holen.
Wenn es ihm doch nur gelänge, nur einmal noch, jenen Blick von ihr zu bekommen, den sie ihm damals geschenkt hatte, als er nach der ersten Nacht neben ihr erwacht war. Nur einmal noch dieses unbeschreibliche Glücksgefühl vorbehaltloser Liebe ... nein, er war mit viel weniger zufrieden: Ihre Hand in seinem Haar, ein zärtliches »Willi«, es hätte ihm genügt. Und dann jenes Wort hinschreiben, das auf der letzten Seite unveränderliches Glück für alle Zeiten verhieß: Ende.
Sabine hatte die Gartenarbeit eingestellt, ging demonstrativ ins Haus. Wilhelm Weber balancierte unschlüssig auf der kleinen Gartenmauer, und ein verwegener Gedanke ergriff ihn: Wie wäre es, wenn er aufhören würde, Sabine zu umschmeicheln, zu beschenken, wenn er einfach das Gegenteil tat und gewaltsam einen Zustand wiederherstellte, der doch von ihnen beiden einmal für gut und richtig befunden worden war? Und schließlich waren sie beide noch immer miteinander verheiratet. Vielleicht gefiel es ihr, wenn er seine Kraft und Macht einsetzte, um sie wiederzugewinnen? Hatte sie seine Zielstrebigkeit nicht anfangs bewundert? Plötzlich wußte Wilhelm Weber, warum die Beziehung zu seiner Frau zerbrochen war. Mit der Entwicklung Sabines hatte sich auch sein Verhalten ihr gegenüber verändert. Je mehr sie lernte, je breiter ihre Interessen wurden, um so unsicherer, zurückhaltender wurde er. Bei allem, was er tun wollte, wartete er auf Zeichen ihres Einverständnisses, statt sie wie früher einfach durch die Tat mitzureißen und zu überzeugen. Entschlossen sprang er von der Mauer herab. Alles, was er brauchte, war eine Gelegenheit, Sabine zu beweisen, daß er noch immer der alte war, der, in den sie sich damals verliebt hatte. Doch wie ließ sich das organisieren? Und würde sie nicht solche Gelegenheiten zu verhindern wissen? Sein Hochgefühl verschwand so plötzlich, wie es gekommen war.
An der Einfahrt des Grundstücks erschien Lisa. Seit acht Wochen Nachfolgerin seiner alten Haushälterin, der der tägliche Weg von Weinstein zu mühsam geworden war. Sie stieg von ihrem Rad und schob es den Weg herauf. Er hatte die Zweiundzwanzigjährige eingestellt, obwohl es ihm nicht recht war, jemanden aus dem Dorf im Haus zu haben. Das würde nur den Klatsch und Tratsch fördern. Lisa wohnte bei ihren Eltern, kam jeden Morgen, um das Frühstück zuzubereiten, das Haus in Ordnung zu bringen und die notwendigen Einkäufe zu erledigen. Am späten Nachmittag kam sie noch einmal und blieb je nach Bedarf, wenn er zum Beispiel Gäste bewirtete, auch über Nacht. Lisa war nicht besonders klug, aber hübsch, und ihre Aufmachung erinnerte ihn ein wenig an Sabine, als sie neunzehn war. Wilhelm Weber gestand sich ein, Lisa auch deshalb angestellt zu haben, um seine Frau zu beeindrucken. (Er hatte es in Herzen im Sturm gelesen.) Doch kein Zeichen von
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