Herzensach - Roman
und Fabrikräume, die zwischen Herzensach und Weinstein lagen, Gemälde. Er kaufte, auch wenn sie nicht seinem Geschmack entsprachen. (Er entdeckte den Kaufvorgang als einen Akt der reinen Machtausübung, wenn es um ein Objekt ging, das er nicht mochte und gar nicht haben wollte.) Sein Engagement wurde öffentlich gelobt, und man hatte ihn für die Verdienstmedaille vorgeschlagen. Ihn, einen dummen Fleischer! So dumm konnte er also gar nicht sein. Warum aber blieb die Anerkennung seiner Frau aus? Was wollte sie noch? Und konnte dieser Gutsherr nicht einmal ohne Unterton ein »Gut gemacht, Willi!« hervorbringen?
Mit fünfundfünfzig Jahren hat ein Mann etwas Glück und Zufriedenheit verdient. Genau jenen Zustand der Menschen am Ende von Ein Herz leuchtet in der Dunkelheit. Dieser Doktor Wolfram Eschenburg aus dem Roman war nicht klüger als er. Doktoren waren meist sogar dümmer. Eine simple Erfahrung. Da brauchte er nur Doktor Andree anzusehen. Der Landarzt war aus seiner Sicht lebensunfähig und konnte froh sein, eine Frau wie Heidelinde Wulf zu haben.
Wenn er jetzt zu seiner Frau hinunterging und einfach vor ihr niederkniete? (Ach, Sabine, der eine produziert Glühbirnen, der andere Würstchen!)
Sie würde die Harke nehmen und ihm über den Kopf schlagen. Obwohl er jeden Schritt, der sie voneinander entfernte, registriert hatte, war es ihm nicht gelungen, etwas dagegen zu unternehmen. Jede Tat war falsch. Jedes Wort zuviel. Jeder Blick verkehrt. (Ich kann deinen Hundeblick nicht mehr ertragen!) Vor rund zehn Jahren hatte Sabine die Kate am Eingang des Grundstücks für sich ausgebaut. Eines Tages zog sie dort ein, ohne daß er ihr irgendeinen der üblichen Gründe geboten hätte, ihn zu verlassen. Er war ihr treu gewesen, hatte ihr jeden Wunsch erfüllt, alles mögliche getan, um ihr zu gefallen: hatte weniger gesprochen, sich aufrechter gehalten, den Blick forschend in die Ferne gerichtet und die Haare immer sofort aus der Dusche gespült. Selbst sein sportlicher Ehrgeiz ging auf sie zurück. Ihr zuliebe hatte er Tennis und Skilaufen gelernt. Eine einzige Bemerkung von ihr, daß sie alte Männer mit Bierbauch, Hühnerbrust und schlaffen Muskeln hasse, führte zur Einrichtung eines Kraftraumes im Bungalow, in dem er sich täglich ausgiebig betätigte. Er hatte Vergnügen daran gefunden und selbst elektrische Geräte zur Herausbildung spezieller Muskeln erfunden und bauen lassen. Es nützte nichts. Je mehr er sich bemühte, Sabine zu gefallen, um so mehr begann ihre Liebe zu verblassen. Immer öfter machte sie sich sogar öffentlich über ihn lustig, kritisierte ihn, gab ihm zu verstehen, daß ihr seine Gegenwart unangenehm sei.
Wilhelm Weber kannte seine Stärken und Schwächen. Er besaß nicht die Fähigkeit, sich zu ändern. Dafür war es zu spät. Aber war er denn ein anderer Mensch gewesen, als er Sabine kennenlernte? Sie war neunzehn und er immerhin schon vierunddreißig, und seine Würstchen waren in Weinstein bereits berühmt gewesen, als Hochzeit gefeiert wurde. Nein, er hatte sich nicht verändert. Sie war es, die nach und nach erwacht war und mit immer größerer Bewußtheit ihre Umgebung beobachtete, die gelernt hatte. Aus der kleinen naiven Sabine von damals, die sich so leicht beeindrucken ließ, war eine selbständige Frau geworden. Und eine immer schönere und klügere Frau. Er hatte ihre Entwicklung bewundernd beobachtet, ohne ihr folgen zu können.
Wilhelm Weber kannte seine Stärken und Schwächen. Er war ein einfacher, ungebildeter Mensch. Er las Groschenhefte, während er auf dem Klo saß, konnte nicht über philosophische Probleme sprechen, nicht über Kunst oder Theater diskutieren. Eine Erbsensuppe mit Speck war ihm allemal lieber als ein französisches Menü. Er vermißte nichts in seinem Leben. Aber er wußte, daß es einen Mangel gab, der Sabines Liebe verlöschen ließ. Was sie forderte, geistigen Austausch und Anregungen, konnte er nicht bieten. Er besaß nur einen stählernen Körper, Durchsetzungsvermögen und genug Raffinesse, um seine Wurstfabrik expandieren zu lassen.
Wilhelm Weber griff seinen Schlafanzug, ging nackt ins Schlafzimmer zurück, um sich den Jogginganzug überzuziehen.
Auf fast alles, auf sein gesamtes Vermögen hätte er heute noch verzichtet, wenn es geholfen hätte, die Liebe seiner Frau zurückzugewinnen. Es wäre ihm ein leichtes, noch einmal von vorn anzufangen – als Schlachtergeselle etwa, wenn Sabine es verlangen würde. Wenn sie doch bloß so etwas
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