Herzensach - Roman
sich wieder. »Vielleicht müssen wir wirklich mit mehr Raffinesse an die Sache herangehen. Haben wir nicht einen Fremden im Dorf? Vielleicht ist er das, der Erbe der Weinsteins? Erkundet schon seinen künftigen Besitz? Schmiedet Mordpläne? Zeichnet Baupläne! Und wird Herzensach in ein Disneyland verwandeln! Wir alle finden uns als Filmvorführer und Kartenverkäufer wieder oder stecken gar, zur Belustigung der Kinder, unter dem Anzug einer riesigen Maus. Nein, schlimmer noch: Wir müssen als Piraten verkleidet auf einer nachgebauten Kogge zehnmal täglich Überfall spielen.«
Einen Augenblick schwiegen alle. (Pastor Pedus überlegte, ob er applaudieren sollte. Da nahte der zweite Akt:)
»Das ist keine Phantasie, so geht es zu im Disneyland in Los Angeles. Ich habe selbst zugesehen. Es war trostlos.« Ein tonloses Lachen stolperte aus dem Bauch des Gutsherrn. Er trank und sah über das Glas hinweg den Pfarrer an. Er dachte an dessen Meßgeräte und an dessen Statistiken über die Stimmung der Dorfbewohner. Warum nicht ein bißchen Aufruhr schüren?
»Wissen Sie, in Berlin antwortete ich sogar auf eine Kontaktanzeige. Ein hübsches Mädchen. Doch seltsam, bereits beim ersten Treffen schwor sie mir ihre Liebe. Als sie ging, verschwand auch meine Brieftasche.«
»Gingen Sie zur Polizei?« wollte der Pfarrer wissen.
»Wo denken Sie hin.« Der Gutsherr lauerte. Wer würde als erster den Gedanken aussprechen, den er in ihre Gehirne einzupflanzen versucht hatte? Wahrscheinlich der Arzt. Er war ängstlich. Richtig:
»Mir scheint, der Fremde ist wirklich mysteriös«, sagte der Arzt. »Ich sah ihn zweimal vom Fenster aus. Ein Student mit einem teuren Wagen, den ich mir nicht leisten kann. Ich sah das Auto auf dem Abschleppwagen. Ein Unfall. Vielleicht fingiert?«
»Wer ist ihm noch begegnet?«
Der Pfarrer kratzte sich die verschorfte Stirn. »Ich sah etwas in seinen Augen. Ein ruhendes Herz. Vielleicht war es nicht das, an was ich dachte, sondern ein Zeichen für die Gewißheit, im Land seiner Ahnen zu sein. Ein Weinstein! – Und: Er sprach vom Teufel, der in jedem steckt! – Franke, haben Sie ihn nicht gefahren?«
Die Miene des Försters hatte sich verdunkelt. »Sollte ich mich so getäuscht haben? Aber jetzt, wo Sie es sagen ... Er hat mich geschickt ausgehorcht, kaum selbst gesprochen. Ich hätte stutzig werden sollen, als er mir von seiner Doktorarbeit berichtete. Waldschadensbeobachtung – gerade bei uns, wo der Wald noch stark und unbeirrt wächst. Die wenigen biologischen Kenntnisse, mit denen er mich beeindruckte, hätte er sich schnell anlesen können.«
Alle sahen den Gutsherrn an, der dachte, wie einfach es doch war, die Menschen zu manipulieren. Er trank sein Glas aus, stand auf und ging wieder ans Fenster. Die Dämmerung hüllte die Allee ein. Es war nicht auszumachen, ob Trivial noch auf der Straße saß.
»Vielleicht sehen wir Gespenster?« (Auf zur Jagd!)
»Nein, nein«, sagte der Arzt bestimmt. »Auch der Wirt versucht, den Gast loszuwerden. Wirte haben einen sechsten Sinn, wenn sie selbst die Zeche zahlen sollen. Wie ich höre, läuft seine Mutter herum, um für den Studenten ein anderes Quartier zu finden.«
»Wir werden schon fertig mit ihm.« Der Förster stand ebenfalls auf und stellte sich ans Fenster. »Niemand von uns ist an Unruhe und Veränderung im Dorf interessiert.«
»Wir sind auf Ihrer Seite«, ergänzte der Arzt.
Der Förster drehte sich zu seinen Freunden um: »Er wird an einem der nächsten Abende bei mir sein, da will ich ihn prüfen.«
»Und wenn ich ...«, Jan kratzte sich das Kinn, »... wenn ich ihm Quartier anbiete. Dann hätte ich ihn unter Kontrolle.«
»Das eigene Verderben ins Haus holen!« Der Arzt sprang auf. »Das können Sie nicht ernsthaft wollen.«
»Beruhigen wir uns.« Pastor Pedus schenkte sich nach. »Ein Amerikaner ist er nicht! Seine Aussprache ist perfekt.«
»Er soll in Texas in einer deutschsprachigen Kolonie leben.«
»Nicht mehr in Texas. Er ist bereits in Herzensach!« warnte der Arzt. (In diesem Stück des Gutsherrn bester Mann.)
Jan ging zu dem großen Globus und schlug die flache Hand darauf. »Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, selbst wenn er ein Weinstein ist. Mit denen sind wir allemal fertiggeworden.« Er ließ das Ende des Satzes hilflos klingen. Schade, daß Wilhelm Weber nicht da war, der brannte doch darauf, etwas für ihn zu tun.
Er setzte sich wieder, schenkte allen nach und hob sein Glas. »Lassen Sie uns über
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