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Herzensach - Roman

Herzensach - Roman

Titel: Herzensach - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunter Gerlach
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halten, besteht die Möglichkeit, daß vorhandene Schwingungen innerhalb von Minuten – sagen wir, durch eine Art Kettenreaktion – einen Lärm erzeugen, der uns die Trommelfelle platzen läßt. Aber keine Angst, meistens schwingt jedes Blech nur sehr fein, und die Frequenzen ergänzen sich zu Bruchstücken von Worten oder seltsamen Melodien. Gottes Stimme.«
    »Und was sagt sie Ihnen?«
    »Ich weiß es nicht. Ich verstehe sie noch nicht, weil mir noch einige Frequenzen fehlen, nehme ich an. Eine vollkommen verrückte Idee, nicht wahr? Aber hübsch, das müssen Sie zugeben.«
    »Könnte es nicht auch die Stimme des Teufels sein?«
    »Wenn Sie den Teufel in der Erde vermuten, ja. Tun Sie das?«
    »Wenn ich sehe, wozu Menschen fähig sind, gehe ich eher davon aus, daß ein Stück der Hölle und des Teufels in jedem von uns steckt.« Der Student wollte brav seine Prüfung bestehen.
    »Richtig. Das ist sein Heim. Wir dürfen ihm keinen Raum geben. Aber zurück in die Realität und zu meiner Humusgitarre, denn das ist dieses Gerät auf jeden Fall auch. Ein Musikinstrument, eine Brunnenharfe, wie sie noch nie jemand gebaut hat. Lange Zeit war man bemüht, Musikinstrumente transportabel zu machen, um mit der Musik zu den Menschen gehen zu können. Dieses Bemühen grenzte die Möglichkeiten der Musik ein. Nur kleine Instrumente, nur bestimmte Töne, nur eine bestimmte Musik war möglich. Ausnahmen bildeten die Kirchenorgeln. Und sie waren immer der Beweis für die Existenz ganz anderer Töne. Heute aber hat die Mobilität der Menschen so zugenommen, daß man eigentlich riesige festinstallierte Instrumente entwickeln könnte. Vielleicht bin ich wirklich der einzige, der auf diesen Gedanken gekommen ist?«
    Der Pastor zog einen der an der Wand angebrachten Hebel fester. Sie waren über Rollen mit Drahtseilen verbunden, die in den Schacht führten.
    »Vielleicht«, warf der Student ein, »liegt es daran, daß man heute mit dem kleinsten Computer Töne erfinden kann, wofür man früher gigantische Instrumente gebraucht hätte.«
    »Ach ja? Trotzdem fehlt diesen elektronisch erzeugten Tönen eine ganz bestimmte Dimension. Sie können den Ton einer Geige eben nicht perfekt simulieren. Nein, dieses Instrument hier ist in seinen Tönen einmalig. Es gibt nur ein Problem: Ich bin zwar sein Erbauer, aber ich kann nicht darauf spielen.«
    Der Pastor erklärte ihm, daß man die Dämpfer zugleich zum Anschlagen der Bleche nutzen könne. Und daß er vorhabe, jeden dieser Klöppel über eine Funkfernbedienung von außen bewegen zu können, so daß der Musiker sich nicht dem möglicherweise schmerzenden Lärm im Schacht aussetzen müsse. Leider entständen die Töne mit unterschiedlicher Verzögerung, und der Schacht lasse sie unkontrolliert anschwellen. Keine vorhandene Melodie eigne sich für dieses gewaltige Instrument. Der Pastor bot dem Studenten an, es auszuprobieren. Jakob Finn lehnte ab. Nie war er im Unterricht über ein paar einfache Klavierstücke hinausgekommen.
    »Ich habe nicht mehr viel Zeit«, sagte der Pastor, als er den Studenten nach oben zurückführte. »Ich muß darauf spielen oder jemanden finden, der es kann. Meine Frau wünscht es sich, und sie hat nicht mehr lange zu leben.«
    Das Tageslicht des Ausgangs erreichte sie. Der Pastor hielt inne. »Ich werde wieder hinuntergehen. Die beiden letzten Bleche müssen noch fixiert werden.« Er kam näher an Jakobs Gesicht, sah ihm forschend in die Augen. »Ich sehe es, und ich habe es vom ersten Augenblick unserer Begegnung an gewußt, Sie sind derjenige, der dieses Instrument spielen wird.«
    Jakob schüttelte energisch den Kopf und versuchte zu lachen. »Nein, Sie täuschen sich.«
    Der Pastor blieb ernst und nickte. »Sie werden nichts dagegen tun können! Nichts! Ich weiß, daß Sie darauf spielen werden, wenn die Zeit gekommen ist. Also denken Sie an mein Orakel, damit Sie am Leben bleiben.«
    Der Hund empfing ihn mit einem Freudentanz, sprang an ihm hoch, warf ihn fast um und leckte sein Gesicht. »Trivial!«

11
    Der Vorhang ging auf, und Jan van Grunten war in seinem Element. (Seine Eltern hatten verhindert, daß er Schauspieler wurde. Wirklich schade.) Mit ausgestreckten Armen eilte er über die Marmortreppe in die Halle hinunter, um den eben angekommenen Doktor Bernhard Andree herzlich zu begrüßen. Er ergriff die rechte Hand des Arztes und dessen linken Arm.
    »Doktor, ich freue mich. Wie immer sind Sie der erste. Ich habe Ihnen einen Scherz aus Berlin

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