Herzensach - Roman
willenlos die gewundene Treppe hinunter in den Keller führen, wo sie ihm andere Bilder zu zeigen versprach. Doch unten stieß sie ihn in die Dunkelheit hinein, riß seinem Hemd mit einem Ruck die Knöpfe ab, griff in seine Hose und drängte ihn gegen eine Wand.
Er hatte sein zerrissenes Hemd unter der Jacke verborgen, war zur Werkstatt gehetzt und hatte seinen Wagen ausgelöst. Weg von hier! Raus aus diesem Horrorfilm! Nach Hamburg. Erst auf der Autobahn war er ruhiger geworden, hatte das Ereignis noch einmal an sich vorüberziehen lassen. Was hatte die Hexe von ihm gewollt? Nicht das, was er gedacht hatte. Es war fast, als hätte sie sein Geheimnis gekannt. Dieser gezielte Griff nach seinem Geschlecht. Er hatte entdeckt, was sich hinter ihrer Malerei verbarg. Und sie hatte gewußt, wie man sich seiner mit Gewalt bediente. Eine Hexe. Weg von hier! Nach Hamburg. Er beschleunigte, hatte den Wagen fast schon auf Höchstgeschwindigkeit gebracht. Sie hatte es gewußt, aber nichts getan. Doch ein Zufall? Die Narben! Vielleicht hatten seine Narben alles verraten. Ihr spöttisches Lächeln. Sie hatte es gewußt, als er hereinkam. Frauen sehen es doch. Aber sie hatte nichts gewollt. Ihre Finger waren hervorgeschnellt, und die Nägel hatten vier rote Streifen auf seinem Bauch hinterlassen, in denen das Blut perlte. Sie hatte ihn nur kennzeichnen wollen. Er war ihr Opfer.
Bloß weg! Nach Hamburg. Nie wieder nach Herzensach. Er trat auf das Gaspedal.
Was für eine Szene! Kein Film. Kein Spaß mehr. Noch jetzt schnürte es ihm die Kehle zu, drückte seine Brust zusammen. Dieses Dorf war verrucht, voller perverser Leidenschaften, Sexus und Gewalt. Alles Hexen. Wer weiß, ob nicht insgeheim blutige Kulte ausgeübt wurden, teuflische Kreise gezogen. Weg von alldem! Nach Hamburg. Nie mehr zurück. Kein Wunder, daß Katharina sich mit allen Mitteln ihrer Haut wehren mußte. Eine Ausfahrt kam. Er bremste ab. War sie Opfer oder Täterin? Wenn er einfach zurückfuhr und sie mitnahm? Ohne jeden Anspruch. Ihr einfach die Chance zu fliehen gab? Er fuhr langsam von der Autobahn herunter. Er mußte etwas tun! Nein, sie war alt genug, um für sich selbst zu sorgen. Er kreuzte die Landstraße und fuhr auf der anderen Seite die Auffahrt zur Autobahn wieder hinauf. Nein, der Entschluß stand fest: Nie wieder nach Herzensach. Es war genug der Erniedrigung. Nach Hamburg.
An der nächsten Raststätte parkte er, betrachtete seinen Bauch; wenn er Pech hatte, würden sich die Wunden entzünden. Er versteckte sie unter seinem Hemd und schloß die Jacke darüber. Die Frau des Fabrikanten mußte gewußt haben, was die Malerin mit ihm machen würde. Doch, von Anfang an. In der Erinnerung las er es ihren Augen ab. Sie hatte ihn als Opfer ausgewählt und der Malerin zugeführt. Er stieg aus und ging die geparkten Wagen entlang zur Raststätte. Plötzlich drehte er sich irritiert um. War er eben am Wagen des Försters vorbeigegangen? Es war das Auto von Johann Franke! Vorsichtig näherte er sich den großen Fensterscheiben des Restaurants. Tatsächlich saß der Förster an einem der Tische und trank ein Glas Wasser. Was machte der hier?
Jakob eilte zurück, auch den Förster wollte er nicht mehr sehen. Er fühlte sich von ihm betrogen. Warum hatte er ihm nichts von seinen Trostbriefen erzählt? Warum sollte er? Nein, Johann Franke war vielleicht der einzige anständige Mensch in Herzensach. Trotzdem wollte er sich jetzt nicht vor ihm rechtfertigen, warum er Herzensach für immer verließ. Er stieg in seinen Wagen und fuhr weiter. Nach ein paar Kilometern spürte er, daß er, ohne es zu wollen, langsamer wurde. Das Gaspedal widersetzte sich ihm. Er dachte an die Tochter des Försters. Wie sanftmütig, wie verständnisvoll war sie gewesen. Wenn er jetzt zurückfuhr, würde der Vater nicht dasein. Sie war allein ... oder saß mit Katharina zusammen und beide lachten ... lachten über ihn. Diesen Trottel! Und dann kam auch noch Heidelinde Wulf zur Tür herein. Soll ich euch mal was erzählen? Alle drei kreischten auf. Nach Hamburg. Nie mehr Herzensach. Nie mehr. Ein Wald fand sich überall.
22
Jede Haushälterin im Gutshof wußte um das Geheimnis des Gebäudes, doch keine hatte es je ihrer Nachfolgerin verraten (schließlich gehörte es sich nicht), sondern es dieser überlassen, es selbst zu entdecken. Manuela Kotschik hatte es bereits nach vier Jahren Dienst herausgefunden. Es dauerte allerdings ein weiteres Jahr, bis sie jede Stelle im Haus kannte, an
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