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Herzensach - Roman

Herzensach - Roman

Titel: Herzensach - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunter Gerlach
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Schlafzimmer gesprochene Wort vernehmen konnte, hatte sie zu zittern begonnen, vor Kälte und Aufregung zugleich. Und weil sie nach einer Weile glaubte, das ganze Haus habe im selben Rhythmus zu zittern begonnen, war sie zurück ins Bett geflüchtet und hatte sich unter den Kissen vergraben, bis sie keine Luft mehr bekam.
    Es war nicht die unbekannte Frauenstimme gewesen, die sie so sehr in Aufregung versetzt hatte. Nächtlicher Damenbesuch bei Jan kam gelegentlich vor. (Sie wollte nicht wissen, wer es war.) Sie wußte immer, wer es war. Nein, daß er mit dieser Frau im Bett lag und seine Heirat mit einer anderen besprach! Eine Ungeheuerlichkeit. Und erst in diesem Moment verstand sie die Unterredung mit dem Anwalt in voller Tragweite. Es war um das Aufsetzen eines betrügerischen Ehevertrags gegangen. Die Frau, die Jan heiraten wollte, war aus Manuela Kotschiks Sicht zwar vollkommen ungeeignet, doch daß sie von vornherein betrogen werden sollte, brachte ihr die Sympathie der Haushälterin ein. Zum ersten Mal war sie im Zweifel, ob sie dieses heimlich erworbene Wissen nicht doch weitergeben mußte. Nein. Und doch mußte die zukünftige Ehefrau des Gutsherrn auf irgendeine Weise gewarnt werden. Es gab Gesetze, die über Jans Recht standen, absolute Treue zu verlangen.
    Manuela Kotschik hatte noch Zeit, bis die Vorbereitungen für das Mittagessen getroffen werden mußten. Der Gutsherr bestand mittags nicht auf warmem Essen, sondern begnügte sich mit kalten Speisen, besonders wenn sie die Qualität italienischer Antipasti besaßen. Die Haushälterin streifte ihre Schürze ab und ging in den Garten. Es erschien ihr unmöglich, allein eine Lösung zu finden. Ihr Bedürfnis, mit jemandem zu sprechen, wurde immer drängender. Aber was konnte sie schon sagen? Mit wem sollte sie sprechen? Sie betrat den kleinen, abgegrenzten Gemüse- und Kräutergarten, bückte sich ab und zu, um Unkraut zu zupfen. Der Pastor fiel ihr ein. Ihm konnte sie vertrauen. Sie erhob sich, strich sich die Haare aus dem Gesicht, betrachtete ihr Kleid. Es war zu auffällig, wenn sie im Alltagskleid zur Kirche ging. Das tat sie nie. Es war geradezu verräterisch. Sie überlegte, hinten an der Herzensach entlang zur Kirche zu gehen. Es würde wie ein Heranschleichen wirken. Wenn jemand sie sah, was würde er denken? Sie mußte es wagen. Langsam und unauffällig würde sie hinunter zum Fluß gehen.
    Sie stieg über den Kaninchenzaun des Gemüsegartens, ging die Beete mit den Frühjahrsblumen entlang, kam zu den Rosensträuchern und zu dem runden Teich. Sie setzte sich auf die Einfassung und tauchte ihre Hand ins Wasser. Ein Fisch näherte sich vorsichtig. Plötzlich stieß er vor, versuchte in ihre Fingerspitzen zu beißen. Sie zog die Hand erschrocken heraus.
    Es war vollkommener Unsinn, mit dem Pfarrer zu sprechen. Was konnte er anderes tun, als ihr zuhören? Er war ein Fremder. Er würde ihre Vermutungen für übertrieben halten und sie zu beruhigen versuchen. Was wußte er von der Seele der Herzensacher? Er war ein Fremder. Einem Fremden durfte man nicht vertrauen.
    Sie stand auf, ging ziellos durch den Garten und sah zum Haus, ob man sie beobachtete. Plötzlich wußte sie, mit wem sie alles besprechen konnte. Es gab eine Person, die alles über die van Gruntens wußte, die Herzensacherin war. Ihr konnte sie sich restlos anvertrauen. Sie würde den Zwiespalt verstehen. Eilig ging sie zum Haus zurück, betrat es durch den Kücheneingang, wischte sich die Hände im Vorbeigehen an einem Küchenhandtuch ab, durchquerte die Eingangshalle mit raschen Schritten und stieg in den obersten Stock hinauf.
    Maria Glaser saß in Nachthemd und Bademantel am Fenster in ihrem Lehnstuhl. Ihre Beine waren bandagiert.
    »Maria! Du solltest doch unbedingt im Bett bleiben!«
    Maria schüttelte den Kopf. »Kommt ihr mich holen?«
    »Nein, dein Zimmer ist noch nicht fertig.«
    »Ich finde es nicht richtig, im Erdgeschoß zu wohnen. Es gehört sich nicht.«
    »Aber wir alle wollen es. Auch der Gutsherr.« Manuela holte eine Wolldecke vom Schrank und legte sie sorgfältig über die Beine der alten Haushälterin, zog sich einen Hocker heran und setzte sich. Sie verfolgte den Blick der Alten aus dem Gaubenfenster hinaus, bis hinüber zum Waldrand, wo das Dach des Forsthauses zu sehen war.
    »Maria, du weißt, daß wir uns alle Sorgen machen«, begann Manuela langsam.
    »Ach«, wehrte Maria ab, »ich bin alt, was ist schon dabei.«
    »Nein, ich meine, um Jan. Wir alle wollen,

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