Herzensangelegenheiten
Frage aller Fragen, auf die es für Samuel nur eine Antwort gab. „Chelsea hat ein Testament gemacht. Ich habe die Wahl, sie zu mir zu nehmen oder ihren Großeltern das Sorgerecht zu überlassen.“
„Du wirst sie zu dir nehmen.“
Es war keine Frage, sondern eine Feststellung von Devin und das folgende Lächeln passte perfekt zu seiner Wortwahl. Samuel konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, was Devin leise lachen ließ. Es gab Fragen, die brauchten einfach keine Antwort, und diese gehörte definitiv dazu.
„Eine andere Antwort hätte auch nicht zu dir gepasst, Sam.“ Devin schmunzelte und runzelte im nächsten Moment die Stirn. „Allerdings wirst du dann wohl eine eigene Wohnung brauchen.“
Da hatte Devin Recht, wurde Samuel sehr schnell klar. Als Single war es keinerlei Problem gewesen, in seinem alten Kinderzimmer zu wohnen, warum auch? Samuel liebte sein Elternhaus und seit seinem Austritt aus der Armee hatte er einfach keine Notwendigkeit darin gesehen, sich eine eigene Wohnung zu suchen. Er war doch sowieso hier, wenn er nicht gerade arbeitete oder sonst wie unterwegs war. Aber Amber würde ein geregeltes Umfeld brauchen und er wollte auf gar keinen Fall in Chelseas Wohnung einziehen. Das wäre weder für Amber gut, noch für ihn selbst.
„Wie willst du es ihr sagen?“
„Wenn ich das wüsste“, murmelte Samuel und seufzte, als Devin ihm sanft über die Wange strich. „Amber ist gerade mal fünf Jahre alt. Ich kann es ihr nicht sagen. Ich meine, Chelsea hat ihr zwar schon erklärt, dass sie im Himmel ist, falls sie eines Tages nicht nach Hause kommt, aber... Oh Gott, was mache ich jetzt bloß?“
Devin drückte seine Hand und Samuel konnte einfach nicht anders, als ihn aus dem Rollstuhl auf seinen Schoß zu heben, weil er Devin umarmen wollte und sich selbst damit auch ein wenig verstecken. Er hatte keine Ahnung, wie es jetzt weitergehen sollte. Samuel fühlte sich so hilflos, wie lange nicht mehr. Er liebte Amber und wollte für sie sorgen, nur wie? Wie zog man ein kleines Mädchen groß?
„Wir werden einen Weg finden“, murmelte Devin und umarmte ihn so fest, dass es wehtat, aber Samuel sagte kein Wort. Er brauchte das sogar, mehr als alles andere, weil er sonst vor lauter Panik vor dem, was jetzt vor ihm lag, durchgedreht wäre.
„Ich schaffe das nicht allein. Nie. Ich habe keine Ahnung davon.“
„Du bist nicht allein, Sam“, hielt Devin eindringlich dagegen und küsste ihn auf die Haare. „Du bist nicht allein.“
Samuel wollte nicht hier sein. Überall sonst auf der Welt wäre es besser gewesen, nur nicht hier. Die Krawatte schien ihn langsam zu ersticken und dieser Anzug ließ ihm auch nicht genug Luft. Es war eiskalt draußen, aber Samuel hatte das Gefühl innerlich zu kochen. Chelsea war tot, daran konnte auch der liebe Gott nichts ändern. Am liebsten hätte er dem Priester seine Worte über Vergebung und Trauer, und dass sie als Hinterbliebene nicht zornig sein sollten, in den Hals geschoben. Was wusste der Mann denn schon? Was wusste dieser Mann von Blut, Krieg und Tod? Nichts. Er lebte ja sicher in seiner Kirche aus Stein. Er musste nicht in Holzhütten hausen oder auf dem Boden schlafen. Immer auf der Hut vor Feinden und giftigen Tieren, weil das nächste Krankenhaus hunderte Meilen entfernt war.
„Sam?“
Samuel zuckte zusammen, als Devin unerwartet seine Hand nahm und sie kurz drückte. Plötzlich war er wieder da. Auf dem Friedhof bei Chelseas Beerdigung. Seine Erinnerungen an den Dschungel waren so schnell fort, wie sie ihn überfallen hatten. Gott sei Dank. Er sah Devin an und versuchte ein Lächeln, dass so falsch wirkte, dass es sogar ein Blinder bemerkt hätte. Devin runzelte die Stirn, sagte aber nichts dazu, wofür Samuel ihm dankbar war. Das hier war kaum der passende Ort, um darüber zu reden, wo er in Gedanken gerade gewesen war. Er durfte Devin ohnehin nichts davon erzählen. Nicht mal sein Vater, der ebenfalls bei den Marines gewesen war, wusste, was damals passiert war und das würde auch so bleiben.
„Chelsea hat immer das Gute in den Menschen gesehen. Sie war eine junge Frau, die mitten im Leben stand und...“
Dann leider von Kugeln zerfetzt wurde, dachte Samuel verbittert, um sich im nächsten Moment dafür zu schämen. Wie konnte er bloß so denken? Chelsea war tot und er stand hier, eine gefühllose Maske vor seinem Gesicht, hinter die er niemanden blicken lassen wollte, nicht einmal Devin, so als wäre er ein Roboter. Aber irgendwie war
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