Herzensangelegenheiten
er das im Moment auch, denn anders hätte Samuel diese Beerdigung niemals durchgestanden. Er hatte einfach zu viele erlebt. Zu viele Tote gesehen. Tote wie Eric. Tote, die durch seine Hand gestorben waren. Tote, deren Blut an seinen Händen klebte.
„Chelsea ist nun an einem besseren Ort. Gott hat sie zu sich nach Hause gerufen. Auch wenn uns das viel zu früh erscheinen mag, so war es sein Wille...“
Gottes Wille? Samuel verkniff sich ein hämisches Lachen und ließ seinen Blick über die Reihe Marines schweifen, die heute ebenfalls gekommen waren. Chelsea war eine von ihnen gewesen und einige der Gesichter, die hinter ihren Eltern standen, kannte er sogar noch. Und sie hatten ihn auch erkannt. Samuel hatte nach seinem Austritt damals jeden Kontakt zu seinen ehemaligen Männern abgebrochen und gäbe es Amber nicht, hätte er zu Chelsea ebenfalls keinen Kontakt mehr gehabt. Es war besser gewesen. Nein, gestand sich Samuel ein. Es war nicht besser gewesen, sondern einfacher. Einfacher für ihn, weil er mit Erics Tod seelisch vollkommen überfordert gewesen war. Jetzt war Chelsea gestorben und holte damit ungewollt alles wieder hoch, was Samuel vor langer Zeit in sich begraben hatte, damit es ihn nicht begrub.
So wie der Dschungel ihn damals begraben hatte. Ein Einsatz. Eine Nacht. Ein Befehl. Am Ende war Eric tot gewesen und er fertig mit den Marines und sich selbst. Sechs Jahre war das mittlerweile her, trotzdem bekam er es nicht auf die Reihe, damit zu leben. Alles zu verdrängen war eben leichter, als sich damit auseinanderzusetzen, was in jener Nacht, in jenem verdammten Dschungel, am anderen Ende der Welt, so schiefgegangen war.
„Möchtest du sie Weihnachten zu dir nehmen?“
Samuel war so verblüfft über ihre Frage, dass er Chelseas Mutter Grace schweigend anstarrte, als er sie in der Tür zum Esszimmer entdeckte, in welches er vor ein paar Minuten geflüchtet war, weil er die Beileidsbekundungen und die Blicke voller Mitgefühl nicht mehr ausgehalten hatte. Amber über Weihnachten mitnehmen? Darüber hatte er noch gar nicht nachgedacht. Sie war an Weihnachten immer bei Chelsea und ihren Großeltern, das hatte er bisher nie in Frage gestellt. Warum auch?
„Ich weiß nicht“, murmelte er schließlich, als ihm auffiel, dass er Grace eine Antwort schuldete. „Ich weiß im Moment gar nichts.“
Grace nickte und setzte sich zu ihm. Die Beerdigung war vor einer Stunde gewesen und nun saßen sie hier im Haus von Chelseas Eltern, das voller Menschen war, die er nicht einmal kannte. Chelsea hatte schon immer schnell Freundschaften geschlossen, aber er hatte sich nie die Mühe gemacht, auch nur einen davon kennenzulernen, weil er mit der Welt der Armee nichts mehr zu tun haben wollte. Ihm war es schon zuviel, dass er zurzeit mit einigen von Chelseas Kameraden im gleichen Haus sein musste.
Er kannte diese Soldaten nicht und wollte sie auch nicht kennen. Devin war der Einzige hier im Haus, von Chelseas Eltern abgesehen, den er mochte, und wenn alles gut ging, würde er Devin heute noch Amber vorstellen. Sobald sie mit ihrem Großvater Matthew von dem großen Spielplatz im Park zurück war. Sie hatten Amber nicht mit zur Beerdigung genommen, seine Tochter verstand ohnehin nicht, was los war. Sie hatte sich einfach nur gefreut ihn zu sehen und dabei Devin kurz und sehr schüchtern 'Hallo' gesagt, bevor sie mit ihrem Großvater losgezogen war.
„Er ist ein sehr netter jungen Mann, dein Devin.“
Samuel lächelte unwillkürlich, bis ihm wieder einfiel, wo er war. Heute war kein guter Tag, um zu lächeln, entschied er, und schaute zu Boden.
„Ach Unsinn“, schimpfte Grace plötzlich und Samuel hob irritiert den Kopf. „Du hast laut gedacht, nehme ich an, und das ist totaler Unsinn, Sam. Ich sehe doch, dass du glücklich bist, und eigentlich warte ich darauf schon eine ganze Weile.“
„Aber Chelsea...“
Grace winkte ab, lächelte wehmütig und seufzte dann. „Du und sie, das hätte niemals funktioniert. Ihr habt eine tolle Tochter und du wirst auch ein toller Vater sein. Ich habe ohnehin nie verstanden, warum du dich bisher immer so zurückgehalten hast.“
„Amber braucht sichere Verhältnisse.“
Die Standartantwort, die er immer zum Besten gab, und die niemand in Frage gestellt hatte. Jedenfalls nicht laut, denn Chelsea hatte von Anfang an gewusst, wo das Problem lag. Er hatte einfach Angst, etwas falsch zu machen. So wie im Dschungel. Und für einen richtig guten Vater hielt er sich auch
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