Herzensangelegenheiten
Babygetränk.“
„Du bist ein fieser Vater“, sagte Samuel gespielt tadelnd, worauf Colin breit grinste.
„Oh ja, und wie.“
Samuel prustete los und nahm Colin die Tasse aus der Hand, um sie in die Mikrowelle zu stellen. Colin holte derweil Honig aus dem Schrank und kramte einen Löffel aus der Schublade, bevor er kurz in Richtung Gästebad verschwand. Gegen die Arbeitsplatte gelehnt, wartete Samuel auf das 'Pling' der Mikrowelle.
Er stutzte, als es plötzlich knirschte, wie wenn Fingernägel über eine Schultafel gezogen wurden, und das nächste, was Samuel sah, war ein Blitz neben ihm, dem ein ohrenbetäubender Knall folgte. Er schaute verblüfft auf die gesprungene Glasscheibe der Mikrowelle. Dampfend heiße Milch lief über die Arbeitsplatte und bildete eine Pfütze, bevor sie auf den Boden zu tropfen begann. Irgendwas pfiff ihm lautstark ins Ohr, während Samuels Blick weiterwanderte.
Über die Mikrowelle, die nur noch ein verkohlter Haufen war, die schwarze Wand dahinter und die Scherben. Auf der Arbeitsplatte, in der Wand und offenbar auch in seinem Gesicht, denn es tat ziemlich weh und irgendetwas Warmes lief ihm beide Wangen hinunter. Jemand packte ihn am Handgelenk und danach war das Pfeifen verschwunden. Dafür klangen jetzt sämtliche Geräusche um ihn herum, als würden sie durch Watte geleitet. Merkwürdig.
„Was, zur Hölle...?“ Mikael starrte ihn fassungslos an. „Scheiße! Das gibt’s doch nicht. Frank? Sally? Ruft den Notarzt. Sofort!“
„Ich... Wieso Notarzt?“ Samuel begriff nicht, was los war. Wieso kamen plötzlich alle in die Küche und sahen so entsetzt aus?
„Ach du Scheiße. Ist die Mikrowelle explodiert?“ Devin rollte zu ihm.
„Setz' dich hin, Junge. Devin, rück' mal ein Stück. Er hat einen Schock, glaube ich.“
Frank tauchte bei ihm auf, zog behutsam an seiner Hand und Samuel ließ sich ziehen. Zum Küchentisch hinüber. Er setzte sich und warf einen ratlosen Blick auf seine Arme. Sie steckten voller Scherben. Seltsam, dass ihm das nicht wehtat, so wie sein Gesicht. Er begann sich die Scherben aus seinem linken Arm zu ziehen, bis Frank seine Hand festhielt.
„Lass das besser einen Arzt machen.“
„Wieso? Das habe ich in Laos ständig selber gemacht“, antwortete Samuel, mit Blick auf die Scherben in seinem Arm. Sie waren wie jene kleinen Metallteile, die in Splitterbomben eingesetzt wurden. Laos war voll davon, beziehungsweise nicht ganz Laos, nur gewisse Teile des Landes. Die Teile, die man in den Nachrichten allgemein nie erwähnte und aus denen man Touristen fernhielt. „Ich brauche nur was zum Desinfizieren“, sagte er ruhig, löste seine Hand aus Franks Griff und zog die nächste Scherbe aus seinem Arm. Es ziepte ein bisschen und dann lief Blut auf den Tisch, bildete eine kleine Lache unter seinem Arm. „In Laos haben wir Schnaps genommen. War das Einzige, das es überall zu kaufen gab. Manchmal haben wir auch Verbandszeug von Hilfslieferungen geklaut. Die kamen sowieso nie bei den Leuten an, für die sie bestimmt waren.“
„In Laos?“, fragte Devin nach und Samuel nickte.
„Da sind mir eine Menge von diesen Dingern um die Ohren geflogen. Apropos Ohren, ihr klingt ganz komisch.“
„Du nicht. Du schreist ziemlich.“
„Ja?“, fragte er an Devin gerichtet und der nickte. „Oh, sorry.“
„Kein Problem“, meinte Devin und sah beunruhigt zu seinem Vater. „Lass ihn ja nicht an die Scherben in seinem Gesicht ran.“
Frank nickte nur und Samuel wollte schon fragen, was die Beiden damit meinten, als ihm plötzlich übel wurde. „Mir ist schlecht.“
„Vielleicht sollte er sich lieber hinleg... Sam!“
Als er wieder zu sich kam, wusste Samuel sofort, dass etwas nicht stimmte. Es lag nicht nur daran, dass er sich in einem Krankenhaus befand und an eine piepende Maschine angeschlossen war, es lag vor allem an Mikael, der neben seinem Bett auf einem Besucherstuhl saß und ihn ernst ansah. Allerdings war Mikael der einzige Besucher im Moment, was Samuel erst so richtig stutzig machte.
„Wo ist Devin?“, wollte Samuel deshalb wissen, um irgendwie einen Anfang zu haben und herauszufinden, was hier los war.
„Mit Amber, Kilian und Colin spazieren.“
„Hm“, machte er nur und musterte Mikael eine Weile, der sich das wortlos gefallen ließ. „Was habe ich getan oder gesagt?“
Mikael streckte seine Beine aus und schlug eines über das andere. „Was du getan hast, da sind wir uns nicht ganz sicher, aber was du vorhin gesagt hast,
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