Herzensjunge
sollte den Tellheim auch mal googeln.
»Willst du über die Sache mit Hanna sprechen?«, fragt Mama.
Ich will an den Computer. Irgendwas hat meine Mutter missverstanden.
»Oder über Omas Operation?«
Ich setze mich auf. »Nein«, sage ich.
»Ich kann mir vorstellen, dass dich das alles verunsichert«, sagt Mama.
Manchmal wünsche ich mir Eltern, die weniger pädagogisch wertvoll sind. Das kann mitunter ganz schön lästig sein.
»Verreist du eigentlich dauernd, um mit Leuten über ihre Tragödien zu reden?«, frage ich. Ist immer gut, vom Thema abzulenken.
»Nein«, sagt Mama, »das mache ich vom Schreibtisch aus.«
Kommt mir komisch vor. Doch ich verkneife mir einen Kommentar.
»Du könntest den Frühstückstisch decken. Papa bringt Sesambrötchen mit und Hagebuttengelee«, sagt Mama. »Das macht mich nervös, wenn du hier sitzt und darauf lauerst, dass ich fertig werde.«
Könnte ich. Tue ich auch. Allerdings ungern. Das ist
zu blöd, wenn man sich was vorgenommen hat und dann in seinem Lauf gestoppt wird. Diesen Waterhouse trage ich schon seit zwei Tagen vor mich her. Ich stehe auf, um in die Küche zu gehen.
»Schminkst du dich jetzt schon für zu Hause?«, fragt Mama.
Ich stehe schon in der Tür und drehe mich nicht um.
»Schminken?«, frage ich.
»Du hast doch die Wimpern getuscht und Kajal aufgetragen, und erkenne ich nicht deutliche Spuren von Apricot auf deinen Wangen?«
»Hab so blass ausgesehen«, sage ich, »vielleicht brauchen wir ein vorteilhafteres Licht im Badezimmer.«
Mama seufzt. »Das brauchen wir unbedingt«, sagt sie.
Ich muss einfach bereit sein.Wer weiß, wann Jan wieder vor der Tür steht. Da kann ich es mir nicht leisten, die Sinnlichkeit eines Quarkbrotes auszustrahlen. Doch das sage ich natürlich nicht.
Ärgere mich nur, dass ich erst mal die Spülmaschine ausräumen muss, um an fünf Frühstücksteller zu kommen.
20
Die Lady of Shalott hat nicht die geringste Ähnlichkeit mit mir. So habe ich auch nicht ausgesehen, als ich hier in Omas kupferrotem Kleid herumlief. Das Kleid der Lady ist weiß. Nur die Decke, auf der sie sitzt, hat diese
Rottöne. Irgendwie guckt die Lady belämmert, wie sie da in ihrem Kanu hockt. Vielleicht will sie auch im Ärmelkanal paddeln.
Ich bin schlecht gelaunt. Bin gerade dabei, mir den ganzen Zauber zu zerstören. Dabei wollte Jan doch sicher was ganz Poetisches sagen und mir eine Freude machen.
Das Ganze hat ja mit König Artus, seinen Rittern und seiner Burg Camelot zu tun und mit den Ladys, die da herumgehangen haben wie die Groupies. Dieser Waterhouse hat sich davon inspirieren lassen und die Lady of Shalott gemalt.
Jans Mutter muss der melancholische Typ gewesen sein, dass ihr dieses Bild so gut gefallen hat. Vielleicht war ja eine Ahnung in ihr, jung sterben zu müssen. Das tat die Lady of Shalott auch. Die starb sogar mit Gesang auf den Lippen. Steht alles im Internet. Hätte ich mir nicht alles angucken sollen. Gehen einem nur die Illusionen verloren. »Mit Illusionen lebt sich’s leichter« ist auch ein Spruch von Oma.
Jan ist nicht gekommen. Nur einmal hat das Klingeln des Telefons mir gegolten. Doch da war es Hanna, die mir noch mal danken wollte. Dazu haben sie bestimmt ihre Eltern gedrängt. Das große Jauchzen ist es noch nicht wieder zwischen uns beiden. Da ist eine Befangenheit.
Die Freundin meines großen Bruders kam, und ich habe versucht, sie in Beschlag zu legen, in der Hoffnung, sie fängt an von Jan zu erzählen, der sich ja wohl öfter bei ihr in der Küche aufhält. Kann sein, dass ich zu sehr in Rätseln gesprochen habe, denn Lena schien gar nicht zu
wissen, was ich von ihr wollte, und verschwand schnell in Andreas’ Zimmer.
Saturday night und ich verkümmere.
Ich kenne diese Schübe, die über mich kommen. Dieses Gefühl, das Leben läuft an mir vorbei, und ehe ich mich versehe, bin ich eine alte Frau von dreißig und habe nichts erlebt.
Sogar Mama und Papa sind heute Abend ins Kino gegangen und Adrian schläft bei einem Freund. Ob ich Oma anrufe, um mich mal bei ihr auszusprechen? Wenn einer die Liebe kennt, ist es Oma. Die lebt zwar schon ziemlich lange getrennt von Opa, doch Mama sagt, sie habe nichts anbrennen lassen. Als ich diesen Satz zum ersten Mal hörte, hatte ich keine Ahnung, was er bedeutet. Da war ich auch erst zwölf. Nun weiß ich, dass Oma ein paar Männer mehr geliebt hat. Nicht nur Opa.
»Das kann man ihr ja auch nur wünschen«, sagt Mama dann immer und klingt irgendwie
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