Herzensjunge
neidisch.
Ich finde das Telefon im Badezimmer, wo ich es liegen gelassen habe, nachdem ich mit Hanna gesprochen hatte. Ein enttäuschtes Gesicht, das mich anguckt aus dem Spiegel. Die ganze Schminkerei war umsonst. Die kleinen silbernen Hufeisen in den Ohren. Das apricotfarbene Shirt. Die engeren Jeans. Ich hätte mir einen Schlampentag gönnen können.
Oma scheint nicht zu Hause zu sein. Ich höre dem Klingeln zu und lege schließlich auf. Dieser Tag ist vermasselt. Ich greife nach einem Wattebausch und gebe Niveacreme darauf und fange an, den Kajal und die Wimperntusche von meinen Augen zu wischen.
21
Die Tür geht auf. »Hast du Tomaten auf den Ohren?«, fragt Andreas, der zerzaust aussieht, als habe er sich aus den Kissen gewühlt.
Ich blinzele. Mir ist was von der Creme in die Augen gekommen. Doch ich sehe klar genug, um Jan hinter meinem Bruder stehen zu sehen. Dunkle Locken. Ein mützenloser Jan.
»Es hatte geklingelt, und ich dachte, du gehst«, sagt Andreas.
Er klingt vorwurfsvoll. Kann mir denken, bei was er gestört worden ist.
»Tut mir leid, dass ich so reinplatze«, sagt Jan da auch schon.
Läuft denn alles schief? Nicht dass er gekränkt ist und weggeht und nicht wiederkommt. »Das ist prima«, sage ich, »ich habe das Klingeln nur nicht gehört und Andreas’ Zimmer ist auch viel näher dran.«
»Hier hörst du einen geschwisterlichen Disput zum Thema ›Wer macht heute den Türdienst?‹«, sagt Andreas. »Aber du bist herzlich willkommen.«
Will Jan denn überhaupt zu mir? Das weiß doch noch keiner.
»Hast du denn Zeit und Lust, ein bisschen zu quatschen?«, fragt Jan.
Wen hat er angeguckt? Ich bin total verunsichert.
»Dann ziehe ich mich mal zurück«, sagt mein großer Bruder und ist schon verschwunden. Hab ich eigentlich noch Creme im Gesicht?
»Ich war gestern Abend schon mal hier«, sagt Jan.
Ich lotse ihn in mein Zimmer, ohne noch einen Blick in den Spiegel zu werfen. Zu eitel zu wirken, ist schlimmer, als weiße Cremespuren im Gesicht zu haben. Jan zieht seine Jacke aus und legt sie über den Schreibtischstuhl. Der ist auch die einzige Sitzmöglichkeit. Sonst könnte ich ihm nur noch mein Bett anbieten. Gut, dass ich heute Morgen die Tagesdecke aufgelegt habe und die Kissen lässig verteilt.
»Da war ich in der Schanze und habe meine Freundin gesucht.«
»Hast du sie gefunden?«, fragt Jan.
Ich nicke und denke, dass ich ihm die ganze Geschichte von Hanna erzählen sollte. Dann hätten wir die erste Verlegenheit hinter uns.
»Du hast heute gar keine Mütze auf«, sage ich stattdessen.
»Die habe ich schon vor der Tür in die Jackentasche gestopft. Ein Zeichen von Zutraulichkeit.« Jan grinst. Er ist gar nicht schüchtern.
»Sprechen dich viele auf die Narbe an?«
Oh weia. Vielleicht habe ich schon alles verdorben. Ich bin wirklich die Königin des Fettnapfes. Jan guckt mich an.
»Die Hufeisen in deinen Ohren«, sagt er, »die hast du falsch gesteckt. Sie müssen sich nach oben öffnen, damit das Glück hineinfallen kann.«
»Das wusste ich nicht«, sage ich und zupfe schon an meinen Ohren, die mir groß wie die von Dumbo, dem Elefanten zu sein scheinen. So rosa sind sie ganz bestimmt und nun werden sie auch noch heiß.
»Kannst du mir helfen?«, frage ich und staune selbst
über meine Frage. »Mut hat selbst der kleine Muck«, sagt Oma immer.
Jan nähert sich zögernd, doch dann ist er ganz nah an meinem Gesicht mit seinen Händen. Ich drehe den Kopf und präsentiere ihm erst das eine, dann das andere Ohrläppchen und er fummelt die Hufeisen in die Fangposition für Glück. Klavierhände hat er. Groß und schmal.
»Ich hab dich vor Kurzem mit einem Geigenkasten gesehen«, sage ich. Gibt es ein größeres Flirttalent als mich?
Jan lässt von mir ab und setzt sich auf den Schreibtischstuhl zu seiner Jacke. »Ich spiele nicht gern Geige«, sagt er.
»Warum läufst du denn dann mit einer herum?«
»Um meinem Vater einen Gefallen zu tun. Sie gehörte meiner Mutter.«
Eine Geige samt Kasten. Kunstbücher. Jan hat ein schweres Erbe angetreten. Papa wäre begeistert, wenn er auch noch von der Geige wüsste. Das ist für ihn Kultur pur.
»Du spielst doch Klavier«, sage ich.
»Das tue ich wirklich gern«, sagt Jan. »Kein Vergleich mit Geige. Habt ihr ein Klavier? Dann spiele ich dir was vor.«
Ich seufze und würde sofort zehn Möbel gegen ein Klavier tauschen.
»Leider nein«, sage ich, »meine Oma hat eines.«
»Vielleicht geht es ja mal bei mir«, sagt Jan.
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