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Herzensjunge

Titel: Herzensjunge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Korn
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schien nicht zu wissen, dass der was mit der Lady of Shalott zu tun hat. Doch er war erst einmal zufrieden.
    Ich kam zu spät vor Omas Wohnung an. Jan stand schon da und fror am ganzen langen Körper. Es war diese fiese nasse Kälte, die einem in die Kleider kriecht. Er sah so schmal und beschützenswert aus und mein Herz quoll über vor Liebe zu ihm.Wir hatten nur noch eine knappe Stunde für uns.
    Denn kaum kommt die große Dunkelheit, erwarten Mama und Papa, dass ich nicht mehr lange draußen herumlaufe.

    Auf Jan wartet oft niemand. Er könnte bis in die Puppen bei Oma bleiben. In Omas Wohnung hätte er es gemütlicher als in der eigenen. Keine Ahnung, warum Jens Torge ständig unterwegs ist. Jan sagt, dass sein Vater zurzeit gar nicht als Architekt arbeitet. Ich glaube, dieser Mann ist auf der Flucht vor sich selber, und das habe ich heute gesagt.
    Wir saßen in Omas Sessel für zwei. Nur eine von den vielen kleinen bunten Lampen war an. Die rote. Ich musste dauernd an den ersten Advent denken.
    »Vor was läuft dein Vater eigentlich weg?«, fragte ich und war sicher, dass Jan wieder ausweichen würde.
    »Vor mir«, sagte Jan. »Er denkt, dass ich ihm den Tod meiner Mutter vorwerfe. Doch das tue ich nicht.«
    »Was für einen Vorwurf könnte es denn geben?«, fragte ich.
    Da war es schon wieder vorbei mit der Stunde der Wahrheit.
    Jan starrte in die Dämmerung, die schon anfing, Dunkelheit zu werden.
    Und dann fing er an zu weinen.
    Wir saßen da und Jan weinte. Erst nach einer ganzen Weile traute ich mich, ihn zu umarmen und ihn ganz fest zu halten.
    »Du kriegst Ärger«, sagte Jan irgendwann, »du musst gehen.«
    Ich bin dann gegangen. Aus lauter Angst, dass alles auffliegen könnte. Jan ist noch geblieben. Ich habe ihm Omas Schlüssel gegeben.
    Die vier Stationen nach Hause waren eine Tortur. Jeder Meter Straße, den der Bus fuhr, entfernte mich von
Jan. Ich hätte bei ihm bleiben sollen. Ihn nicht in dieser traurigen Stimmung alleinlassen. Auch wenn es Ärger gegeben hätte, auf Omas Wohnung kämen meine Eltern nie. Da sind Jan und ich in Sicherheit. Die wird von keinem gestürmt. Stubenarrest halte ich noch immer nicht für möglich.

42
    Oma ist auf der normalen Station, doch sie erholt sich nicht so schnell, wie alle hofften. Die Ärzte sagen, sie solle auf jeden Fall länger als sechzehn Tage bleiben. Oma zwinkert mir zu, als sie das sagt.
    »Da ist noch ein drittes Wochenende drin für dich und Jan.«
    Das Bärchen sitzt auf dem Nachttisch und scheint auch zu zwinkern, doch ich bin hin und her gerissen in meinen Gefühlen. Oma nimmt meine Hand und streichelt sie.
    »Das wird schon, Tonilein«, sagt sie, »ich bin nur so ungeübt im Kranksein. Da dauert es etwas länger.«
    »Ich kann jetzt das Lied der Meermädchen spielen«, sage ich, »und auch schon die ersten Takte von ›Brüderlein fein‹.«
    »Ihr habt mein erstes Klavieralbum gefunden«, sagt Oma und lächelt, »da war ich acht, als ich damit anfing.«
    Nicht gerade schmeichelhaft für mich, die ich kurz
vor meinem vierzehnten Geburtstag stehe. Doch lieber spät als nie.
    »Geht es gut mit dir und Jan?«, fragt Oma.
    Und da bricht es aus mir heraus. Ich erzähle ihr, dass Jan oft allein ist, dass er geweint hat und sein Vater denkt, Jan werfe ihm den Tod der Mutter vor. »Ich liebe ihn so«, sage ich.
    »Können Sie nicht Rücksicht nehmen?«, krächzt es aus dem Bett nebenan. Ich habe vergessen, dass Oma nicht allein im Zimmer ist.
    Oma verdreht die Augen. Das ist nun gar nichts für sie, mit einer kleinlichen Alten das Zimmer zu teilen.
    »Komm bald mal mit Jan«, sagt Oma leise.
    Die Tür geht auf, Papa tritt ein und sagt viel zu laut »Guten Abend«.
    Omas Bettnachbarin setzt zu einem Schimpfen an, doch als sie Papa sieht, ist sie still. Dabei strahlt er im Augenblick wirklich nicht den strengen Lehrer aus. Auch heutzutage haben manche Leute vor Männern immer noch mehr Respekt als vor Frauen oder gar Kindern. Bescheuert.
    »Hier bist du also immer, Töchting«, sagt Papa, »ich hatte schon meine Zweifel, ob du wirklich nur mit Hanna lernst.«
    Oma lächelt, als sei sie die Heilige von St. Georg.
    »Toni ist meine treueste Besucherin«, sagt sie, »weicht kaum von meiner Bettkante. Sie sollte mal öfter um die Alster gehen und frische Luft schnappen. Immer nur Hausaufgaben und dann zu mir. Da wird sie ja ganz blass um die Nase.«

    Oma läuft zu Hochform auf, wenn sie schwindeln kann. Jetzt darf nur die Alte im Bett nebenan nichts sagen.

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