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Herzensjunge

Titel: Herzensjunge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Korn
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unser Haus zieht?«, fragt Jan.
    Ich schüttele den Kopf.Woher soll ich das wissen?
    »Er will das Meer nicht aus den Augen lassen«, sagt Jan.

57
    Ich komme mir um Jahre gealtert vor. Das Gesicht, das ich in unserem Flurspiegel sehe, könnte auch fünfzehn sein. Der Abend, die Warterei auf Jan, die ganze Tragödie um seine Mutter. »Das lässt man nicht in den Kleidern«, sagt Oma immer.
    Dafür sehen Papa und Andreas umso frischer aus. Dieser Ausflug in den Harz hat auch Papas Laune gutgetan. Ob Mama gestern Abend schon mit ihm darüber gesprochen hat, was sie alles ändern will? An die Küchentür hat sie jedenfalls keine Thesen genagelt.
    Mama hat mich gleich zu sich gerufen, als ich zur Tür hereinkam. Sie sitzt am Computer und guckt sich die Bilder von der Fotoproduktion an, die sie für die Wahre Geschichte gemacht haben. Wenn ich nicht wüsste, dass die Fotos in einem Studio am Winterhuder Weg entstanden wären, würde ich auf Dornröschens Schloss tippen. Rosen ohne Ende. Sogar in der Badewanne, in der die beiden Liebenden liegen.

    »Was ist das denn für eine Geschichte?«, frage ich.
    »Erst mal will ich deine hören«, sagt Mama.
    »Jan hatte sich verspätet«, sage ich, »die Proben des Schulorchesters dauerten so lange. Da wollte ich nicht gleich wieder los.«
    »Wo trefft ihr euch eigentlich?«, fragt Mama.
    Ich kann mir nicht vorstellen, dass Oma ihr gestern was von dem Schlüssel erzählt hat. Das hätte sie mich wissen lassen. Darum versuche ich es mal wieder mit der halben Wahrheit.
    »Ab und zu sind wir in der Stadt«, sage ich, »im Alex.«
    »Ich nehme doch an, dass ihr am Samstag in Jans Wohnung wart.«
    Ein Glück, dass Mama das schon vorformuliert hat. Ich nicke.
    »Wenn das so eng mit euch wird, wäre es Zeit, Jans Vater kennenzulernen«, sagt Mama. »Noch bist du dreizehn.«
    Dass sie immer mit dieser »dreizehn« herumwirft.
    »Auch vierzehn scheint mir früh zu sein für eine Beziehung«, sagt Mama.
    »Andreas sagt auch, dass ich ernsthafter bin als andere Mädchen in meinem Alter«, sage ich.
    Hat Andreas das gesagt? Oder hat das Jan gesagt?
    »So«, sagt Mama, »hat er das gesagt?«
    Mama denkt nach. Ich sehe sie wieder an ihrem nicht vorhandenen Bleistift kauen.
    »Jans Vater ist doch ein alter Freund von Lenas Vater«, sagt sie.
    Ich nicke.Worauf will sie hinaus? Lenas Vater als Leumund?

    »Da wäre es doch eine gute Idee, Lenas Eltern und Jans Vater zu uns zum Essen einzuladen«, sagt Mama.
    Gute Idee? Was soll das werden? Ein Schwiegerelterntreffen? Das wäre zumindest mir oberpeinlich.
    »Das werde ich mal mit deinem Vater besprechen. Mit dem habe ich ohnehin noch einiges zu klären.«
    Ich wäre davongeschlichen, hätte nicht Andreas das Zimmer betreten. Er schwenkt ein Buch. Das Buch von meinem Schreibtisch, das Jan am Sonntag mitgebracht hat.
    »Du reifst ja täglich, Schwesterlein«, sagt er, »und ehrgeizig bist du auch.«
    Ein guter Satz im besten Augenblick. Als hätte ich Andreas ein Stichwort gegeben, Mama von meiner Ernsthaftigkeit zu überzeugen.
    »Was ist es denn?«, fragt Mama.
    Ja.Was ist es denn? Ich hab es mir noch gar nicht angeguckt.
    »›The Oxford Companion to English Literature‹«, sagt mein Bruder, der Musterschüler. »Den hatten wir noch nicht in der Achten.«
    »Ich habe es mir von Jan geliehen«, sage ich, von Stolz getragen, »um weiter an Tennyson arbeiten zu können.«
    Wie sagt Oma? »Die Wahrheit gehört zu den überschätzten Dingen.«

58
    Jan und ich haben uns zwei Tage lang nicht gesehen. Er geigt dauernd. Eine Probe nach der anderen.
    Gestern habe ich an Mamas Computer gesessen und »Telse Torge« eingegeben. Keine Treffer. Heißt doch nur das Boot Telse?
    Ich kann zwei und zwei zusammenzählen. Ich habe keinen Zweifel daran, dass Jans Mutter ertrunken ist. Oder wie ist es sonst zu deuten, dass Jens Torge diese Macke mit dem Meer hat? Dass Jan mir ein Foto von einem Segelboot zeigt? Das Einzige, was mich wundert, ist, dass er sich ans Klavier setzt und My heart will go on , spielt. Ich habe bei diesem Lied immer den ertrinkenden Leonardo DiCaprio vor Augen. Dass Jan das aushält und nicht in Tränen ausbricht.
    Oma wird am Dienstag entlassen werden. Das letzte Wochenende in ihrer Wohnung liegt vor Jan und mir. Sie werden ja wohl nicht auch noch Samstag und Sonntag dauernd geigen.
    Ich habe ihn gebeten, das Handy dabeizuhaben und anzuschalten. Doch das geht natürlich überhaupt nicht bei den Orchesterproben, dass da ein Handy klingelt.

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