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Herzensjunge

Titel: Herzensjunge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Korn
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keine Ahnung, was Arme Ritter sind.
    Doch ich fühle mich getröstet.

54
    »Du machst eine Mischung aus Milch, Ei und Zucker«, sagt Oma, »vielleicht noch Vanille. Dann wendest du das alte Brot darin und brätst die Brotscheiben in Butterschmalz. Das sind Arme Ritter .
    Oma hat eine neue Bettnachbarin. Die guckt schon ganz hungrig. Doch sie ist nett.Viel netter als Frau Broder. Oma scheint aufgeblüht zu sein.
    Nun erholt sie sich in großen Schritten.
    »Die will dein Jan zubereiten?«, fragt Oma. »Hatte ich denn noch Brot da?«
    Ich erzähle ihr vom Kakao in der Blaue-Blumen-Kanne. Von Eier und Speck. Vom Brot, das wir essen wollten. Von Jans Fahrt nach Husum. Doch ich verschweige alles andere vom Abend in ihrer Wohnung.
    Nichts vom Ausziehen und Streicheln und Küssen.
    »Ihr habt doch nicht nur in der Küche gestanden«, sagt Oma.
    Ich werde rot.

    »Du kannst dich darauf verlassen, dass wir vernünftig sind«, wispere ich.
    Oma lächelt. »Das weiß ich doch, Tonilein«, sagt sie, »ich fürchte nur, ich werde euch die Freiheiten bald aus anderen Gründen nehmen. Allzu lange bleibe ich nicht mehr hier und in eine Reha kriegt mich keiner.«
    Dass eine gute Nachricht auch eine schlechte sein kann!
    Doch ich verstehe, dass Oma nicht in der Vorweihnachtszeit in eine Kurklinik will.Wenn wir alle helfen, erholt sie sich in ihrer Wohnung sicher am besten. Da kann sie in ihrem Sessel sitzen und auf die Alster gucken, während wir für sie einkaufen und sauber machen.Vor meinem geistigen Auge sehe ich Jan, der am Herd steht und kocht, und ich komme mit der großen Kanne und gieße Oma Kakao ein und Jan und ich küssen uns zwischendurch und alles ist enorm gemütlich.
    »Ich darf natürlich nicht die ganze Zeit im Sessel sitzen«, sagt Oma, »lange Spaziergänge sind Pflicht.«
    »Wie lange bleibst du noch hier?«, frage ich.
    »Wahrscheinlich noch acht Tage«, sagt Oma, »was ein weiteres Wochenende bedeutet. Doch da Jan und du sicher darüber hinaus plant, werden wir eine andere Lösung für euch finden.«
    Ich denke an den Flügel. Die drei Zimmer mit den Doppeltüren. Zu klein ist die Wohnung von Jan und Jens Torge wirklich nicht. Doch es ist eine große Traurigkeit in ihr. Lässt die sich weglüften?
    Ob Jan und sein Vater jetzt in dem Haus mit den hohen Glasfenstern sind? Das Haus am Meer.Vielleicht ist
es noch gar nicht leer. Die Zimmer in der Hamburger Wohnung sind nicht gerade übermöbliert.
    Ich stehe auf. Gleich wird Mama Oma besuchen. Die beiden wollen miteinander reden, da sie Papa noch im Schnee wissen und nicht »in der Tür«, wie Oma sagt. Ich soll Adrian in dieser Zeit hüten. Ein kleiner Junge kommt mir in den Sinn, der bäuchlings auf dem Flügel liegt und lacht.

55
    Ich stehe vor dem Haus und warte und friere und hole dann doch den Schlüssel mit dem silbernen Herzen hervor. Ich schließe die Tür auf und gehe in die Wohnung hinauf. Schalte die kleinen Lampen an. Das ist das erste Mal, dass ich allein hier bin.
    Jan hatte um halb fünf hier sein wollen. Jetzt ist es gleich fünf. Ich weiß, er hat einen weiten Schulweg. Das Albert-Schweitzer-Gymnasium ist im Alstertal. Und sie haben viele Proben. Gerade vor den Konzerten in der Weihnachtszeit. Klassenorchester. Schulorchester. Kammerchor.
    Doch in mir kratzt die Angst, dass er nicht kommt. Dass er in Husum festgehalten wird und ich ihn nicht wiedersehe.
    Bin ich ein Mensch mit großen Verlustängsten? Oder ist das die Liebe, die mich so angreifbar sein lässt? Eigentlich ist man nur wirklich frei, wenn man nichts und niemanden
zu verlieren hat. Doch wer will schon allein auf der Welt sein? Ich will es nicht.
    Wenn Jan auf die andere Straßenseite geht und hochguckt, dann kann er die Lampen in Omas Wohnung leuchten sehen.
    Nicht dass er unten vor der Tür stehen bleibt und auf mich wartet.
    Er hat ein Handy. Doch er lässt es oft zu Hause herumliegen. Ich habe ihn noch nie darauf erreicht, obwohl ich die Nummer auf einem kleinen Zettel in meiner Tasche bei mir trage und es versuche.
    Ich nehme Omas Telefon und tippe Jans Handynummer ein. Ich höre das, was ich immer höre, wenn ich ihn anwähle. »The person you have called is not available.« Wenn Jan doch endlich »available« wäre.
    Aus Omas großem, altem Schrank hole ich den Schaffellmantel hervor. In ihm werde ich nicht frieren, wenn ich unten stehe. Hat Jan immer noch das indische Hemd? Das für die Love-Parade?
    Ich will gerade aus der Tür gehen, als das Telefon klingelt. Ich zögere.

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