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Herzensjunge

Titel: Herzensjunge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Korn
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Hanna erfrischen könnte. Ich greife in den Schnee und reibe ihr eine große Portion durchs Gesicht. Mama guckt mich erschrocken an, doch Hanna scheint mir dankbar zu sein.
    Es ist schon halb zwei, als wir vor Hannas Haus stehen. Ich schaue hoch. Im dritten Stock ist Licht. Da tigern jetzt Hannas Eltern herum.
    Hannas Eltern sind hin- und hergerissen zwischen Dankbarkeit, dass ihre Tochter wieder da ist, und Zorn, der sich dann auch auf mich entlädt. Als hätte ich Hanna den Alkohol eingeflößt und sie ins Elend geführt.

    »Sodom und Gomorrha«, würde Papa sagen.
    Habe ich vor wenigen Stunden in Jans Armen gelegen? Er in meinen? Die Liebesgeschichte meines Lebens hat begonnen. Ich will nicht hier stehen und in ein banales Besäufnis verwickelt sein.
    Mama und ich sind ziemlich aufgewühlt, als wir zu Hause ankommen.
    Wir sitzen noch lange am Küchentisch. Wir machen uns keine Bekenntnisse, wir sitzen nur da. Sind ein wenig aus der Puste. Seelisch aus der Puste. Als wir ins Bett gehen, ist es drei Uhr morgens. Wenn das Papa wüsste. Doch der liegt hoffentlich mit roten Winterbacken in einem Bett in einer Harzer Jugendherberge und Andreas im Hochbett über ihm.

53
    Es ist halb elf. Die Kirchenglocken haben zum Sonntag geläutet. Nebenan erklingt Opernmusik. Unsere Nachbarin hört jeden Sonntag Opern. Auch Ginger, ihrer Katze, wird das zu viel. Ich höre Ginger maunzen. Immer dann, wenn die Sänger Atem holen.
    Mama ist losgegangen, um Adrian von seiner Übernachtungsparty abzuholen. Papa und Andreas haben angerufen und gesagt, dass sie erst am Abend kommen werden. Der Schnee sei so schön.
    Hier in der Stadt ist er geschmolzen. Nur noch kleine graubraune Reste liegen im Rinnstein. Ansonsten triefen
die Straßen vor Nässe. Ich werde meine Gummistiefel anziehen müssen, wenn ich nachher zu Omas Wohnung gehe.
    Jan und ich haben uns für den Mittag verabredet, zu einem späten Frühstück. Eier. Speck. Das nicht mehr ganz so duftende Brot. Danach wollen wir Oma besuchen.
    Ich sitze an meinem Schreibtisch. Das Kunstbuch liegt aufgeschlagen vor mir. Doch ich habe immer die vier Fotografien vor Augen.Vor allem die mit der jungen Frau am Flügel und dem kleinen Jan. Drüben kommt es gerade zu einer dramatischen Szene. Zwei Stimmen liegen im Kampf und dazu ertönen laute Orchestermusik und eine Türklingel.
    Dass es die Klingel an unserer Tür ist, erkenne ich mit einer kleinen Verzögerung. Ich springe auf und gehe öffnen.
    Jan kommt die Treppe hoch. Er hat ein Buch in der Hand.
    Habe ich was verpasst? Eine Änderung unserer Verabredung?
    »Ich muss mit meinem Vater nach Husum«, sagt Jan.
    Für heute? Für immer? Kommt er, um mir Lebewohl zu sagen?
    Ich ziehe ihn in mein Zimmer.
    »Ich habe gedacht, er fährt allein«, sagt Jan, »doch er besteht darauf, dass ich mitkomme. Er weiß, dass ich es nicht gern tue.«
    Jans Vater wächst mir nicht gerade ans Herz.
    »Kommst du heute Abend zurück?«
    »Klar. Ich hab ja morgen Schule. Aber es kann spät werden.«

    Ich atme auf. Warum zweifele ich so leicht an meinem Glück?
    Jan beugt sich über das aufgeschlagene Buch auf meinem Schreibtisch. Ein Mann und eine Frau schmusen auf einer Wiese. Schafe stehen im Hintergrund. Die Frau hat ein kleines Lamm auf dem Schoß. Sie sieht plump aus, nicht zart und verträumt wie meine Lady of Shalott.
    »Ich wollte es dir nicht am Telefon sagen«, sagt Jan.
    Er legt das Buch ab, das er mitgebracht hat, und nimmt mich in die Arme. Drüben geht es gerade mit Geschmetter in eine neue Arie.
    »Was ist das denn für ein Krach?«, fragt Jan. Selbst er, der Musiker, scheint mit Opern nicht viel am Hut zu haben.
    »Das sonntägliche Konzert unserer Nachbarin.«
    »Andreas ist noch mit deinem Vater im Harz?«
    »Und meine Mutter holt gerade meinen kleinen Bruder ab.«
    Jan nimmt mich fester in die Arme und küsst mich.
    Es summt so schön. Ich wusste nicht, dass Küsse summen können.
    Leider lässt Jan mich wieder los. »Er wartet unten auf mich«, sagt er.
    »Dein Vater steht unten vor der Tür?«
    »Er sitzt im Auto«, sagt Jan.
    »Hat er denn gar nichts dagegen, dass du zu mir kommst?«
    »Ich nehme nicht an, dass er an Küssen denkt«, sagt Jan. »Ich habe ihm gesagt, ich müsste Andreas noch ein Buch vorbeibringen.«

    »Was sollst du denn in Husum?«
    »In Wunden wühlen«, sagt Jan. Er klingt bitter.
    »Morgen Nachmittag um halb fünf?«, frage ich.
    Jan nickt. »Und dann machen wir aus dem alten Brot Arme Ritter ,« sagt er.
    Ich habe

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