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Herzensjunge

Titel: Herzensjunge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Korn
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Wer kann schon dran sein, wenn nicht Jan? Höchstens ein Anrufer für Oma, der nicht weiß, dass sie im Krankenhaus ist. Dem kann ich ja erklären, weshalb ich hier den Hörer abnehme. Ich melde mich mit »Hallo«, höre ein Atmen. Dann wird aufgelegt. Es ist bescheuert, doch ich kriege Angst.
    Ziemlich im letzten Moment, bevor ich die Tür hinter mir zuziehe, denke ich daran, dass der Schlüssel auf der weißen Korbtruhe liegt. Ich nehme ihn und laufe nach unten. Reiße die Haustür auf und stelle mich auf die Straße, als sei die der sicherste Ort der Welt.

    Am Ende der Straße sehe ich Jan.
    Ich werfe mich ihm in die Arme. Mir ist völlig egal, was er denkt. Auch dass es schon halb sechs ist und er mich hier hat hängen lassen und ich spätestens um sieben zu Hause sein soll.
    Zu spät für Arme Ritter .
    Doch für Jans Erklärungen soll die Zeit reichen.
    Ich will alles wissen.

56
    Jan sieht müde aus. Er sitzt im Sessel und drückt die Hände an die Schläfen. Er hat Kopfschmerzen. Er kommt geradewegs aus Husum.
    Ich nehme das Telefon und bitte den lieben Gott kurz darum, dass Mama am Apparat sein wird. Mama ist am Apparat.
    Allmählich mache ich sie zu meiner Verbündeten. Hanna ist da leider im Moment ein Totalausfall. Mama gibt mir eine Verlängerung bis halb acht.
    Ich gehe in die Küche und koche Tee.
    »Oma hat sicher Aspirin da«, sage ich.
    Jan schüttelt den Kopf. »Geht schon wieder«, sagt er.
    Ich hole den kleinen Tisch herbei, den Oma »Helferlein« nennt und der auch ein teures Stück ist, obwohl man ihm das nicht ansieht. Ich stelle das Stövchen darauf, mit der Kanne, die Keramikbecher, den Honig.

    »Jetzt sprich«, sage ich und setze mich zu ihm. Er hat genug Zeit gehabt.
    »Er wollte dort bleiben«, sagt Jan. »Im Haus. Ich glaube nicht, dass er ernsthaft versucht hat, es zu verkaufen.«
    »Und du?«, frage ich. »Willst du dort bleiben?«
    »Nein«, sagt Jan, »ich will ein neues Leben. In Hamburg.«
    »Hat dein Vater dich daran gehindert, zurückzukommen?«, frage ich. »Du hattest doch Schule.«
    »Er hat mich nicht gehindert«, sagt Jan, »ich hätte fahren können. Mit dem Zug. Doch ich wollte ihn nicht allein lassen. Er ist schlecht drauf.«
    Ich kriege einen Zorn auf Jens Torge. Mein Vater mag manchmal eine Nervensäge sein. Doch er drückt sich nicht vor der Verantwortung.
    »Wo ist er jetzt, dein Vater?«, frage ich.
    »In der Wohnung«, sagt Jan, »dort war er eben, als ich gegangen bin.«
    Was hat mein großer Bruder gesagt, als es um Jan ging? Vor Ewigkeiten, als wir gemeinsam frühstückten? »Vielleicht wünsche ich meiner kleinen Schwester was Leichteres.«
    Doch was helfen gute Wünsche, wenn man jemanden liebt?
    »Vielleicht solltest du heute Nacht hierbleiben«, sage ich, »deine Nerven beruhigen nach diesem Tag.« Ich klinge, als sei ich hundert. Lebenslange Erfahrung liegt in meinen Worten.
    »Dann dreht er durch«, sagt Jan.
    Ich würde ihn gern fragen, wie seine Mutter gestorben ist und welche Rolle sein Vater dabei gespielt
hat, stattdessen frage ich, ob das Haus leer sei und alle Möbel schon in Hamburg wären.
    »Im Zimmer meiner Mutter ist fast alles unverändert«, sagt Jan. »Als ob er darauf wartet, dass sie es selbst ausräumt.«
    »Aber ihren Flügel habt ihr in Hamburg«, sage ich.
    »Weil ich darauf spiele«, sagt Jan. Er lächelt zum ersten Mal an diesem Abend. Woran denkt er? Ans Klavierspielen? An seine Mutter?
    »Wir haben doch diesen Jungen im Bootsmann gesehen«, sagt Jan, »der mit deiner Freundin Hanna befreundet war.«
    »Kalli«, sage ich.
    »Er ist jetzt bei uns auf der Schule.«
    Das weiß ich doch. Wie kann es sein, dass Jan gerade an Kalli denkt?
    »Er spielt im Schulorchester.«
    Kalli? Ich staune.Was spielt er? Harfe?
    »Er flötet, und das gar nicht schlecht«, sagt Jan, »Altflöte.«
    Kalli mit der Altflöte.Wer hätte das gedacht?
    »Wann habt ihr euer Weihnachtskonzert?«, frage ich. »Da will ich in der ersten Reihe sitzen und dir zujubeln.«
    »Am zehnten Dezember«, sagt Jan, »du kannst gern kommen. Doch ich stehe bei den Geigen. Der Platz am Flügel ist noch von einem Schüler aus der Abistufe besetzt. Der ist wirklich gut.«
    Darum ist Jan so leidenschaftslos, was das Orchester angeht. Weil er die ungeliebte Geige spielen muss. Ich hatte mich schon gewundert.

    »Wie viel Zeit hast du noch?«, fragt Jan.
    Ich gucke auf meine Uhr. »Eine Dreiviertelstunde«, sage ich.
    »Weißt du, warum es meinen Vater immer wieder nach Husum und in

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