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Herzensjunge

Titel: Herzensjunge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Korn
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es ein Leben außerhalb meiner Schwester?«, fragt Andreas und guckt Jan an. Der ist verlegen.
    Ich auch. Denn das war jetzt kindisch von mir.
    Als Jan in mein Zimmer geht, habe ich die Ophelia auf meinem Tisch völlig vergessen. Doch zielsicher steuert er den Schreibtisch an und beugt sich über sie. Er müsste schwanken bei diesem Anblick.
    »Kitschig hoch drei«, sagt Jan, »doch irgendwie total faszinierend, diese Präraffaeliten. Meine Mutter hat davon geträumt, mal ein Original zu besitzen. Sie hängen fast alle in englischen Museen.«
    Ihm wird zwar schwindelig, wenn er Wasser sieht, doch Wasserleichen scheinen ihm nicht wirklich was auszumachen. Ich verstehe das nicht.
    »Geht es deinem Vater besser?«, frage ich.
    »Er will am Wochenende wieder nach Husum fahren«, sagt Jan. »Ich kann ihn nicht aufhalten.Wenigstens drängt er mich nicht, ihn zu begleiten.«
    »Es ist unsere letzte Chance in Omas Wohnung«, sage ich leise. Mein großer Bruder ist in die Küche gegangen, um mit eigenen Augen zu sehen, dass dort Pizzastücke liegen. Nicht mehr lange, nehme ich an.
    »Ich werde mir die Chance nicht entgehen lassen«, sagt Jan.
    Er zieht die schwarze Strickmütze aus und schüttelt
die Locken. Hat er eigentlich auch eine Mütze auf, wenn er im Orchester spielt?
    Andreas kommt mit einem Teller herein, auf dem ein letztes Stück der Pizza liegt. Er bietet es Jan an, der zugreift.
    »Ich warte auf den Tag, an dem Papa uns zu McDonald’s einlädt«, sagt Andreas, »ich sage euch, der Tag wird kommen.«
    »Jan ist also heute Abend als Freund meines Bruders da«, sage ich.
    »Er soll sich ganz ungezwungen vertraut machen mit der Familie«, sagt Andreas und grinst.
    Ich denke an das Schwiegerelterntreffen, das meine Eltern planen.
    »Ist eigentlich alles in Ordnung bei dir und Lena?«, frage ich.
    »Du hast neuerdings ja alle Antennen ausgefahren«, sagt Andreas.
    Ist das eine Antwort? Doch ich bin ziemlich überzeugt, dass da was nicht stimmt zwischen den beiden.
    Wir haben noch zehn ungestörte Minuten, dann laufen Papa und Mama ein. Sie jedenfalls scheinen sich vor dem Haus getroffen zu haben.
    Mama und Papa fragen Jan, ob er zum Essen bleibt. Es gibt Pellkartoffeln mit Schnittlauchquark. Wie nennt Oma das, was ich gerade habe? Ein Déjà-vu.

60
    So fing es an. Ich erinnere mich. Wir aßen Pellkartoffeln, Adrian drückte die ganze Mayonnaise aus der Tube und ich traute mich nicht. Weder an die Mayonnaise, noch nach Jan zu fragen, den ich am Tag zuvor das erste Mal gesehen hatte.
    Jetzt sitzt er mir gegenüber an unserem großen Küchentisch. Wäre so schön, wenn Papa akzeptieren könnte, dass Jan nicht nur der Freund von Andreas ist, sondern auch der Mann an meiner Seite. Doch ich fürchte, Papa hält mich noch immer für ein Küken, das zu jung ist für die Liebe.
    »Kommst du?«, ruft Mama. »Die Kartoffeln werden kalt.«
    Papa ist der Einzige, der noch nicht am Tisch sitzt. Doch da kommt er in die Küche und strahlt von einem Ohr zum anderen.
    »Hab ich es doch geahnt«, sagt er und hält eine kleine Versandtüte hoch.
    »Was ist das?«, fragt Mama.
    »Der dritte Schlüssel«, sagt Papa, »Vater hatte ihn doch noch.«
    Ich kann es nicht fassen.
    »Da wird Oma sich freuen«, sagt Papa. Er blickt zu Jan. »Meine Mutter hatte nämlich ihre Schlüssel verlegt«, sagt er, um Jan einzuweihen in dieses familiäre Ereignis. Gott, oh Gott.Wenn Papa wüsste.
    Auch Jan kapiert jetzt die ganze Tragweite. Ich sehe es an dem Blick, den er mir zuwirft.
    Unser Liebesnest.Vorbei.Vorbei.

    Papa könnte jederzeit hineinplatzen.
    Und ich darf hier noch nicht mal in Tränen ausbrechen.
    »Weiß Oma davon?«, frage ich.
    »Dass der Ersatzschlüssel da ist? Nein.«
    »Weiß sie, dass du Opa danach gefragt hast?«
    »Da muss ich sie doch nicht informieren und um Erlaubnis bitten«, sagt Papa, »schließlich ist er mein Vater.«
    Es gibt da offensichtlich Empfindlichkeiten bei Papa, die ich noch nicht durchschaut habe. Doch das ist das geringere Problem.
    Jan und ich gucken uns an. Das Wochenende können wir knicken.
    »Vielleicht sollte ich sie überraschen«, sagt Papa.
    Wie denn? Ein Papierhütchen aufziehen und Konfetti werfen, wenn Oma am Dienstag zur Tür hineinkommt? Ich fange an, wütend und ungnädig zu werden. Im Gegensatz zu Papa, der sehr zufrieden aussieht.
    »Was stellst du dir vor?«, fragt Mama. Sie hat auch wenig begeistert auf diese Schlüsselneuigkeit reagiert. Vermutlich denkt sie, dass Oma es kaum schätzt, nicht

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