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Herzensjunge

Titel: Herzensjunge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Korn
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immer wieder gern in der Gertig aufhält«, sagt er, »unser liebes Mütterlein.«
    Also geht sie doch shoppen bei Herz und Krone und bei Magic . Hab aber noch nichts gesehen an ihr, das sie da gekauft haben könnte. Ich kenne das Angebot und drücke mir oft genug die Nase dort platt.
    »Sie sitzt dann im Niewöhner «, sagt Andreas.
    Das Niewöhner i st eine der alten Gaststätten in Hamburg. Ich kenne sie nur vom Vorbeigehen. Auf den ersten
Blick sieht sie brav und gediegen aus. Dunkle Tische und Stühle und eine Täfelung auf halber Höhe. Ganz die gute alte Zeit. Gutbürgerliche Küche gibt es da. Oma sagt, das bedeute viel Fleisch, fette Kartoffeln und Soßen mit Mehl. Keine Ahnung, ob das auch aufs Niewöhner zutrifft.
    »Mama?«, frage ich. »Was tut sie denn da?«
    »Als ich heute am späten Mittag hereinschneite, um ein Bier zu trinken, saß sie vor einem Wiener Schnitzel. Den Teller darunter konnte ich nicht erkennen, aber ich nehme an, es war einer unter dem Schnitzel.«
    Ich habe Mühe, meinen Mund zu schließen, vor lauter Staunen. Hier erstreitet sie gerade mal das Recht auf Pizza mit Tomaten und Rucola, und da isst sie Schnitzel, die überlappen.
    Ich stelle mir ihren Schrecken vor, als Andreas in die gute Stube trat. Jetzt grinse ich auch von einem Ohr zum anderen.
    »Das war ihr doch sicher oberpeinlich«, sage ich.
    »Und ob. Sie hat noch versucht, den Spieß umzudrehen, weil ich ein Bier bestellt hatte. Doch dass ich ab und zu eines trinke, ist ja nicht neu.«
    Mamas Lust auf Fleisch eigentlich auch nicht. Die Leberwurst fällt mir ein, die Mama hervorgeholt hat, kaum dass Papa und Andreas in den Harz gefahren waren. Warum wehrt sie sich denn nicht stärker gegen Papas Essensvorschriften?
    »Du hast ihr versprechen müssen, darüber zu schweigen«, sage ich.
    »Das hätte sie gern gehabt«, sagt Andreas. »Ich habe es aber nicht versprochen. Mit der Heuchelei ist Schluss.«

    Ich gucke auf die Uhr. Mama müsste jeden Moment kommen. Es ist Zeit fürs Abendessen. Papa holt gerade Adrian von der Flötenstunde ab und müsste gleich hier einlaufen.
    »Ich bin gespannt, ob sie es erzählt«, sage ich.
    »Ich bin vor allem gespannt, was sie eingekauft hat«, sagt Andreas, »wenn sie mit Quark und Schnittlauch nach Hause kommt, gibt es einen Skandal.«
    »Willst du schon wieder einen Streit zwischen den beiden?«, frage ich.
    Mein großer Bruder zuckt die Achseln.
    »Revolutionen erfordern Opfer«, sagt er.

80
    Mama ist schlau. Sie hat das Fleisch eingekauft, das Papa als einziges durchgehen lässt: Hühnerbrüste auf Haut.
    Das ist unser liebstes feinstes Sonntagessen. Gestern hatten wir es nicht. Da gab es Blumenkohl mit gehacktem Ei. Dass sie jetzt die Revolution absagt und die Auseinandersetzung mit Papa, ist sogar oberschlau.
    Dem zollt auch Andreas seine Achtung. Er schweigt, als sie ihre Show ablaufen lässt. Doch er zwinkert ihr dauernd zu.
    »Eine kleine Verwöhne am Wochenanfang«, sagt Mama gerade, »ich dachte, das muss einfach mal sein in der Vorweihnachtszeit.«
    Das Einzige, was auf ihre Verlegenheit hinweist, ist
eine gewisse Hektik bei der Zubereitung des Fleischs. Beinah hätte sie die Flasche mit dem Sojaöl fallen lassen, mit dem sie die Hühnerhaut betupft. Als ihr auch noch eine Knoblauchzehe aus den Fingern springt, wird Papa aufmerksam.
    »Was ist los mit dir?«, fragt er. »Du bist so nervös.«
    »Ist nur der Tag der Schwerkraft«, springt ihr Andreas zur Seite.
    »Hast du was mit dem Auge?«, fragt Papa ihn. »Es zuckt dauernd.«
    Ich muss aufpassen, dass ich nicht losplatze vor Lachen.
    »Deine Mutter kommt nachher«, sagt Mama, »ich habe sie angerufen.«
    Auch das ist sehr geschickt. Sieht alles nach einem spontanen Festessen aus.Vielleicht aus Anlass ihres Fernsehauftritts.
    »Wo doch am Freitag alles gut gelaufen ist in der Talkshow«, sagt Mama.
    »Gibt es Pommes frites?«, fragt Adrian.
    »Die gibt es auch bald mal«, sagt Andreas.
    Mama wirft ihm einen warnenden Blick zu. Sie ist sich doch hoffentlich darüber im Klaren, dass das nur ein Etappensieg ist.Andreas und ich werden sicher nicht die Chance verpassen, die uns ihr überlappendes Wiener Schnitzel im Niewöhner bietet. Nicht dass wir die große Ära des Junkfoods einläuten wollen, doch eine Erweiterung des Speiseplans wäre durchaus wünschenswert.
    »Rosmarinkartoffeln gibt es«, sagt Mama, »wie immer.«
    Papa ist voller Vorfreude. Damit hat er wirklich nicht gerechnet.

    Ich decke den Küchentisch, als sei

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