Herzenskälte: Ein Fall für Leitner und Grohmann (German Edition)
gefragt hast, warum ich mich Marcel gegenüber so beschissen verhalten habe, als ich hier ankam. Da ist mir klargeworden, dass du es wissen musst – oder zumindest genug, um dir den Rest zusammenzureimen.«
»Zugegeben, ja. Ich wusste es von Anfang an.«
Jennifer nickte. »Dann hätten wir das schon mal geklärt. Also?«
»Also was?«
Sie hatte ihre Frage keinesfalls vergessen. Und er ebenfalls nicht. »Was hat dich in dieses schöne Städtchen geführt, das vor meiner Ankunft derart friedlich und unschuldig war?«
»Es freut mich, dass du darüber schon Witze machen kannst.«
Jennifer zuckte die Schultern. »Vielleicht habe ich dem Typen ja zwischenzeitlich den Kiefer gebrochen.«
»Davon hätte ich erfahren.«
»Das hoffst du. Und du weichst mir aus.«
Oliver seufzte. »Die Angelegenheit ist eigentlich vertraulich.«
»Meine Personalakte ist es eigentlich auch.«
Oliver verschaffte sich ein wenig Zeit, indem er sich auf sein Essen konzentrierte. »Also gut«, begann er schließlich. »Ursprünglich ging es um einen Totschlag im politischen Umfeld. Unsere Ermittlungen haben gewissen Persönlichkeiten nicht gefallen. Das Justizministerium versuchte Einfluss zu nehmen. Als wir trotzdem weitermachten und der Wahrheit zu nahe kamen, wurde uns der Fall entzogen und die Angelegenheit politisch korrekt geregelt.«
Jennifer war Polizeibeamtin, trotzdem musste er seine Worte vorsichtig wählen und durfte keine Namen nennen. Immerhin galt die Sache als erledigt. »Mein Team wurde aufgelöst, und mir hat man nahegelegt, mir eine andere Stelle zu suchen. In einer anderen Stadt oder bevorzugt in einem anderen Bundesland. Ansonsten hätte man eine unliebsame Aufgabe für mich gefunden oder mir das weitere Berufsleben zur Hölle gemacht. So habe ich jedenfalls ein nicht gerade angenehmes Gespräch unter vier Augen gedeutet. Ohne politische Freunde blieb mir keine andere Wahl. Ich stand auf verlorenem Posten.«
»Das hört sich nach einer ziemlich miesen Tour an«, sagte Jennifer leise. Oliver hatte zwar mit ruhiger Stimme gesprochen, trotzdem konnte sie nicht einschätzen, wie stark ihn diese Geschichte noch belastete. »Ich verstehe nur nicht, warum sie dich in Lemanshain genommen haben. Einen unpolitischen Staatsanwalt kann man schlecht beeinflussen, und das dürfte hier wohl kaum erwünscht sein. Erst recht, falls er einmal Oberstaatsanwalt werden sollte.«
»Wenn ich mich nicht irre, war Oberstaatsanwalt Scholz wegen irgendeiner Sache gerade nicht so gut auf die Stadtoberen zu sprechen, als er nach einem Nachfolger für Peters suchte. Vielleicht bilde ich mir das ein, aber ich glaube, ich habe die Stelle nur bekommen, weil er mit ein paar Leuten im Stadtparlament irgendeine Rechnung offen hatte.« Oliver musste unwillkürlich lächeln. »Unpolitisch, rebellisch, in einiger Hinsicht unangepasst, das gefällt vielen nicht. Seine Entscheidung dürfte er inzwischen mehr als einmal bereut haben.«
»Ich bin ihm jedenfalls ehrlich dankbar«, platzte es unvermittelt aus Jennifer heraus. Oliver hätte ihre Aussage durchaus falsch verstehen können, weshalb sie schnell hinzufügte: »Du machst deinen Job verdammt gut.«
Er nahm das Kompliment mit einem Lächeln an. »Danke.«
Jennifer starrte auf ihren Teller und schob die Kartoffeln mit der Gabel umher, obwohl sie eigentlich fertig gegessen hatte. »Bist du wegen der Sache in Gießen noch wütend?«, hakte sie schließlich vorsichtig nach. »Ich an deiner Stelle wäre stinksauer.«
Oliver schüttelte den Kopf. »Nicht mehr. Früher oder später wäre es ohnehin dazu gekommen. Ich habe mich für weitere Beförderungen nicht gerade empfohlen. Effektiv gesehen habe ich einen Posten blockiert, den einige gerne ihren Günstlingen als Sprungbrett nach oben vermittelt hätten. So oder so hätte ich irgendwann eine Entscheidung treffen müssen. Außerdem habe ich festgestellt, dass mir die Ermittlungsarbeit wesentlich mehr liegt als das Verwalten und Organisieren.«
»Das ist mir nicht entgangen.«
Jennifers Bemerkung brachte ihn unwillkürlich zum Grinsen. »Meine jetzige Stelle hat auch noch andere Vorteile. Zumindest in Gießen hielt man Auftritte mit einer Metal-Band für einen Gruppenleiter der Staatsanwaltschaft nicht unbedingt für angemessen.«
Das konnte sie sich nur allzu gut vorstellen. Einigen Erzkonservativen in Lemanshain hätte dieses Hobby wahrscheinlich ebenfalls nicht gefallen, wenn sie davon erfahren hätten. »Wobei mir einfällt, dass du mir noch
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