Herzenssünde - Silver, E: Herzenssünde
spöttisches Lächeln ging über sein Gesicht. „Die Isistöchter machen ja nicht gerade Reklame für ihre Praktiken. Trotzdem wundere ich mich darüber, dass Roxy schon so lange zu euch gehört und anscheinend selbst nichts davon wusste. Sollte mein Blut tatsächlich ihr erstes gewesen sein, ist das ein purer Zufall. Sie hat mich gebissen.“
Calliope blickte skeptisch von einem zum anderen. Sie wirkte nicht überzeugt. „Und trotzdem hast du sie leben lassen? Ich glaube kein Wort davon. Kein Seelensammler hätte das getan.“
„Du scheinst ja bestens über uns informiert zu sein“, konterte Dagan ärgerlich. „Glaub, was du willst, aber in jener Nacht war ich nicht auf ihre Seele aus. Ich bin nicht nach ihr geschickt worden.“
„Und wenn es so gewesen wäre?“, fragte Calliope. „Hättest du ihre Seele genommen?“
Roxy spürte, wie ihr Puls stieg. Sie hatte Calliopes lauernden Blick bemerkt und ahnte den Fallstrick, der in ihrer Frage steckte.
Dagan blieb äußerlich gelassen. Er konnte es gar nicht leiden, wenn man versuchte, ihn vorzuführen, und hatte zweifellos keine Lust zu antworten. Er tat es dennoch. „Nein“, sagte er und blickte Calliope aus kalten grauen Augen an.
Calliope hatte ihre Antwort bekommen, ob sie sie erwartet hatte oder nicht. Sie ließ die Schultern sinken, die Anspannung schien von ihr zu weichen. Traurig lächelnd sagte sie zu Roxy: „Ich habe meinen Job nicht besonders gut gemacht. Du warst meine erste Schülerin. Die Aufgabe war neu für mich. Du warst so verschlossen und zurückhaltend, da habeich nicht in dich dringen wollen. Ich hatte Angst, du würdest dich sofort ganz zurückziehen. Jetzt sehe ich ein, dass das ein Fehler war. Ich habe dich verloren. Und ich werde mich dafür verantworten müssen.“
Energisch schüttelte Roxy den Kopf. „Du hast mich nicht verloren.“
Calliope suchte sichtlich nach den richtigen Worten. Ihr wäre die Erklärung vielleicht leichter gefallen, wenn Dagan nicht dabeigestanden hätte. „Du gehörst zu den untersten Rängen in der Isisgarde, Roxy. In bestimmte Geheimnisse bist du eben nicht eingeweiht.“
„Ich war nicht einmal in die Dinge eingeweiht, die mich direkt angehen.“
Calliope verzog das Gesicht. „Es war mein Fehler. Es tut mir leid, und ich muss mich bei dir entschuldigen. Aber nach dem, was jetzt ans Licht gekommen ist, hättest du nie eine von uns werden können.“
„Was?“ Roxy war entsetzt.
„Ich wusste ja nichts von dieser Geschichte mit ihm, dass seines dein erstes Blut gewesen ist, das von einem Reaper. Hätte ich es gewusst … Aber das ist ja jetzt auch egal. Du hast von seinem Blut getrunken. Seine Spur ist in dir. Ich kann mir das gar nicht vorstellen …“ In ihrer Miene mischten sich beinahe ehrfürchtiges Staunen und Abscheu.
„Was willst du damit sagen?“ Panik kam in Roxy auf. „Soll das heißen, ich gehöre deswegen nicht mehr zu den Isistöchtern?“ Ihr Magen krampfte sich zusammen. Nach zehn Jahren, nach zehn langen Jahren, in denen sie endlich ein Gefühl von Zugehörigkeit und Geborgenheit in dieser Gemeinschaft gefunden hatte, sagte sich Calliope von ihr los. Und Roxy stand wieder vor dem Nichts wie schon so oft zuvor. Sie musste unwillkürlich an die Menschen denken, die sie schon verloren hatte, ihre Mutter, ihre Pflegeeltern, Rhianna. Sie war wieder allein.
Sie war der Verzweiflung nahe. Dann versuchte sie sich einzureden, dass sie gelernt hatte, allein zu sein, auf eigenen Füßen zu stehen, dass sie sich eine neue Aufgabe suchen konnte. Aber das half nicht viel. Sie hatte mit Calliope auch eine Freundin verloren.
Al lein.
Plötzlich spürte sie Dagans Hand. Er verschränkte die Finger mit ihren. Vielleicht doch nicht so allein, schoss es ihr durch den Kopf.
Dann aber trat Calliope dicht an sie heran. Ihre Augen schimmerten verdächtig feucht. „Oh Roxy“, sagte sie leise, „hast du eine so schlechte Meinung von mir? Nach all den Jahren? Glaubst du wirklich, ich würde dich so ohne Weiteres fortschicken? Natürlich bleibst du eine Isistochter. Und meine Schülerin, meine Schwester und Freundin. Du bist als Isistochter geboren worden. Du kannst nur nicht mehr zur Garde gehören. Nach dem, was ich jetzt weiß, muss ich auch sagen, dass es vielleicht besser gewesen wäre, du hättest nie dazugehört.“ Sie warf Dagan einen finsteren Blick zu. „Es ist wohl am besten, wenn bis auf Weiteres niemand von dieser Geschichte erfährt.“
Bis auf Weiteres. Roxy fiel ein, was
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