Herzenssünde - Silver, E: Herzenssünde
Calliope zu Anfang ihres Besuchs gesagt hatte. Das Treffen der Herrscher der Unterwelt. Sie ahnte, dass sich dieses Wort „bis auf Weiteres“ darauf bezog.
„Und was ist, wenn die Oberen in deiner Garde doch davon erfahren?“
Calliope sah Dagan fest an. Sie sprach in seiner Anwesenheit nur sehr ungern über die Isisgarde, so viel war klar. Ihr Misstrauen war ungebrochen.
„Du hast um die Entlassung aus der Garde ersucht, und ich habe dem entsprochen“, erklärte sie dann. „Du bist also nicht länger Mitglied der Garde. Und da du keinen Zugang zu sensiblen Informationen hattest, dürfte deine Ausmusterung auch keine Probleme darstellen. Sollte das irgendwann ans Licht kommen, wird es ganz sicher Kritik geben, weil ich mich nicht genügend um deinen persönlichen Hintergrund gekümmert habe. Dann werde ich antworten, dass das nicht in meinen Aufgabenbereich fällt. Von mir erfahren sie jedenfalls nichts über dich und …“, wieder warf sie Dagan einen vernichtenden Blick zu, „… und ihn. Jedenfalls nicht in nächster Zeit.“
Also nur ein Aufschub. Aber besser als gar nichts. Calliope wollte offenbar noch etwas sagen, offenbar etwas sehr Wichtiges, aber sie kam nicht mehr dazu.
Auch Roxy spürte es. Ihr war, als würde sie von mit voller Wucht von einer Art elektrischem Sturm getroffen, ein Gefühl auf der Haut wie tausend Nadelstiche. Calliope schien es ähnlich zu gehen.
Etwas war da, anwesend, in diesem Raum, auch wenn nicht mehr zu erkennen war als ein eigenartiges Flimmern in der Luft. Allmählich verdichtete sich diese Erscheinung zu einer Rauchsäule. Dagan sprang und stellte sich schützend vor Roxy, während die eigenartige Wolke eine immer festere Gestalt annahm, sich teilte und urplötzlich drei Seelensammler vor ihnen standen. Zwei davon hatte Roxy noch nie gesehen. Den dritten kannte sie dafür umso besser. Es war Gahiji, der Jäger. Roxy dachte sofort, dass er sie jagte. Aber sie täuschte sich.
Gahiji starrte Calliope an und bellte: „Wo ist das Kind?“ Drohend kam er auf sie zu. „Glaubst du im Ernst, du kannst es vor mir verstecken? Ich habe das erste Versteck gefunden und auch das zweite, aber dort ist sie nicht mehr. Die Mutter muss in aller Eile aufgebrochen sein. Nicht einmal Kleidung oder Kinderspielzeug hat sie mitgenommen.“
Dagan trat vor, und Gahiji wandte sich ihm zu. „Du hast diese Woche schon einmal die Pläne deines Vaters durchkreuzt. Willst du das wiederholen, Sohn des Sutekh?“
Calliope stöhnte auf. „Nicht nur ein Reaper, sondern auch noch ein Sohn Sutekhs.“
„Willst du wirklich deinen Vater und deine Brüder verraten?“
Dagan zuckte zusammen. Gahiji hatte offensichtlich den wunden Punkt getroffen.
Im nächsten Moment zog Gahiji etwas aus seiner Tasche. Entsetzt riss Roxy die Augen auf. Es war Flopsy, Danas Kuscheltier. Ihr wurde heiß und kalt. Aber gleichzeitig war sie erleichtert. Denn was sie von Gahiji hörte, bedeutete, dass Danas Mutter sich genau an ihre Anweisungen gehalten hatte. Sie hatte alles, aber auch alles zurückgelassen, um spurlos zu verschwinden. Kein Spielzeug, kein Foto, kein Buch hatte sie mitgenommen, nicht einmal Danas geliebte Flopsy. Dana war bestimmt traurig darüber, aber immerhin waren sie und ihre Mutter dafür noch am Leben. Außerdem konnte Roxy jetzt sicher sein, dass sie Danas Mutter keine Sekunde zu früh gewarnt hatte. Die beiden waren Gahiji wahrscheinlich gerade noch rechtzeitig entwischt.
Was Calliope in diesem Moment dachte, war Roxy klar. Dazu brauchte sie sie bloß anzusehen. Calliope war davon überzeugt, dass Dagan die Reaper hierher geführt hatte. Und sicher schätzte Calliope die Situation so ein, dass jetzt vier Reaper zwei Isistöchtern gegenüberstanden.
Roxy war nicht sicher, ob sie damit nicht vielleicht sogar recht hatte. Ängstlich sah sie zu Dagan hinüber. Und plötzlich hatte sie seine Worte wieder im Ohr. Du gehörst mir. Nein, es war unmöglich, dass Dagan sich gegen sie stellte.
„Wo ist sie?“, wiederholte Gahiji und kam Calliope bedrohlich nahe.
Dann stand Dagan mit einem Mal zwischen ihr und dem Reaper. Seine Bewegung war so schnell gewesen, dass Roxy nur einen Windzug wahrgenommen hatte. Ihre Augen hatten ihm nicht folgen können. Beinahe ebenso schnell hatteCalliope sich in Abwehrstellung geduckt. Sie hielt plötzlich ein Messer in der Hand. Roxy nahm das als Signal und zückte ihrerseits die Dolche, die sie als Ersatz für ihre von den Feuergeistern zerstörten Lieblingswaffen
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