Herzenssünde - Silver, E: Herzenssünde
hinter ihm stand.
„Meinst du?“ Die Sterblichen kamen auf die merkwürdigsten Ideen. „Schauen wir mal, was es sonst noch für Überraschungen gibt.“
Dagan betrat den schmalen Flur. Alastor hielt sich dicht hinter ihm. Am anderen Ende blieben sie vor einer Tür stehen, die Dagan sich aufmerksam ansah.
„Wie kommst du eigentlich darauf, dass es hier etwas zu sehen gibt?“, fragte Alastor.
„Gibt es. Ein nagelneuer Riegel an der Außenseite einer vergammelten Kellertür zum Beispiel.“ Er zeigte auf das glänzende Metall über der Klinke.
„Aha. Soll wohl eher jemanden am Herauskommen als am Hereinkommen hindern.“ Alastor zuckte die Schultern. „Aber das wusstest du doch nicht vorher. Sag mal, wieso bist du ausgerechnet auf dieses Haus gekommen?“
„Zwei Dinge.“ Dagan schob den Riegel zurück. „Erstens fiel Joe Marins Name in dem Verhör mit dem Obdachlosen. Und es wird langsam Zeit, dass er seine Schulden bezahlt.“
„Und zwei tens?“
„Zweitens konnte der Penner zwar keine Personenbeschreibung von dem Mann geben, der ihn festgehalten hat, aber ein interessantes Detail hat er benannt: einen silbernen Anhänger, den er um den Hals trug, ein Ankh mit Flügeln und Hör nern.“
Alastor stieß einen leisen Pfiff aus. „Sieh an, das dunkle Mal.“
Das Zeichen, das die Isistöchter für gewöhnlich vor den neugierigen Augen der Sterblichen sorgsam verborgen hielten.
„Genau dasselbe, das an der Stelle in den Boden gebrannt war, wo Lokan umgebracht worden ist.“
„Grund genug, den Isistöchtern eine Lehre zu erteilen.“ Dagan sah seinen Bruder verwundert an. Solche Gefühlsausbrüche erlebte er bei ihm selten. „Ich würde noch keine voreiligen Schlüsse ziehen. Es wäre auch möglich, dass jemand versucht, die alte Feindschaft zwischen ihnen und uns auszunutzen. Möglicherweise haben die Isistöchter gar nichts damit zu tun.“
„Möglicherweise“, räumte Alastor ein. Aber Dagan merkte sofort, dass der Einwand seinen Bruder nicht überzeugte. Unddeshalb hielt er es für besser, darüber zu schweigen, wo er dieses Zeichen schon mal gesehen hatte.
Dagan erinnerte sich nur zu gut. An ihre samtweiche Haut, die die Farbe von Milchkaffee hatte, an die dunkel-braunen Locken, die ihr über die Schultern fielen und bis auf den Rücken reichten, an ihre leicht schräg stehenden grünen Mandelaugen, die ein so wildes Feuer versprühen konnten. Er erinnerte sich an ihren schönen Mund – und nicht zuletzt an ihren fast verwegenen Mut.
Es waren seitdem so viele Jahre vergangen, in denen er die Erinnerung an sie unterdrückt hatte, auch wenn sie hie und da wieder aufgetaucht war. So wie jetzt.
„Du hältst dich von den Otherkin fern, von jedem, der dieses Zeichen der Isis trägt“, hatte er noch beim Herausgehen warnend zu ihr gesagt.
„Der Isis?“
Gespannt auf ihre Reaktion, hatte er sich nach ihr umgewandt. Sie hatte zusammengekauert dagesessen, zu ihren Füßen die beiden Leichen. Seine Lederjacke hatte sie fest um die Schultern gezogen. „Was du da um den Hals trägst, ist nicht bloß ein hübscher Silberanhänger. Das gehörnte und geflügelte Ankh hat eine besondere Bedeutung. Wenn du mal jemanden triffst, dem dieses Zeichen in die Haut eingebrannt ist, kann ich dir nur empfehlen, zu laufen – so weit weg und so schnell du kannst. Es wäre besser für dich, glaub es mir.“
„Und warum sollte ich davor weglaufen?“, hatte sie vorsichtig gefragt.
„Wenn du dich einmal mit den Otherkin einlässt, lassen sie dich nie wieder los. Dann gehörst du zu ihnen und in die Reihe meiner erklärten Feinde. Möchtest du mich wirklich zum Feind haben, mein Küken?“
Er hatte sie eindringlich vor den Isistöchtern gewarnt und gedacht, dass sie klug genug sein würde, auf die Warnung zu hören. Sollte sie dennoch auf irgendeine Art in dieseGeschichte verwickelt sein? In den Mord an Lokan? Dagan konnte es sich nicht vorstellen. Und trotzdem hatte er in den dreihundert Jahren seines Daseins gelernt, nicht an Zufälle zu glauben. Das Ankh-Zeichen tauchte in dieser Affäre entschieden zu oft auf.
„Sagst du Dad etwas davon?“, fragte Alastor.
Dagan zuckte innerlich zusammen, fasste sich aber gleich wieder, als ihm klar wurde, dass Alastor nicht das Mädchen, sondern das Ankh meinte, das auf einen Zusammenhang zwischen Lokans Ermordung und Isis, der Gemahlin Osiris’, hinwies. Beide waren Erzfeinde von Sutekh.
„Bist du verrückt? Glaubst du, ich will einen apokalyptischen Krieg
Weitere Kostenlose Bücher