Herzenssünde - Silver, E: Herzenssünde
sich am Stamm hinunter. Aber kaum hatte sie wieder Boden unter den Füßen, wurde sie, noch ehe sie wusste, wie ihr geschah, von hinten gepackt.
14. KAPITEL
Das Blutgerüst der Verdammten ist mir ein Gräuel, und mein Herz soll mir nicht entrissen werden.
Nach dem Ägyptischen Totenbuch, 28. Kapitel
D agan hielt Roxy fest und hielt ihr mit der unverletzten Hand den Mund zu. Der andere Arm schmerzte jetzt noch heftiger als zuvor, als die Wunde noch frisch gewesen war. Man konnte im Ansatz schon erkennen, dass eine neue Hand im Begriff war nachzuwachsen. Ein äußerst unangenehmer Prozess.
Roxy wiederum wehrte sich mit allen Mitteln, die sie hatte. Mit Füßen und Ellenbogen schlug sie nach ihm. Ein Kopfstoß nach hinten verfehlte nur deshalb sein Nasenbein, weil Dagan reaktionsschnell ausgewichen war.
„Ich bin es doch nur“, sagte er ihr ins Ohr. „Nun halte endlich still.“ Da er ihr nun schon so nahe gekommen war und sie im Arm hielt, wenn sie sich auch noch so widerspenstig gebärdete, konnte er der Versuchung nicht widerstehen. Dagan schmiegte die Nase an ihr Haar und atmete ihren Duft ein. Einen Hauch von Vanille registrierte er, dazu eine noch deutlichere Spur Rauch.
Er drückte noch ein wenig fester zu, und endlich hörte Roxy auf, sich zu wehren. Da er ihr immer noch den Mund zuhielt, machte sie lediglich ein ersticktes Geräusch, das ihren Protest kundtat. Sofort lockerte Dagan den Griff, sodass sie wieder Halt unter den Füßen bekam. Er überlegte, ob er es jetzt riskieren könne, die Hand langsam von ihrem Mund zu nehmen, ohne dass sie versuchen würde, ihn zu beißen.
Zu seiner Überraschung war sie friedlich, als er sie losließ, und meinte nur halblaut: „Gehen wir. Ich gehe vor.“
Verwundert sah er sie an. „Du gehst vor?“
„Ich kenne das Gelände besser als du. Sonst fällst du noch über einen Baumstamm und brichst dir die Beine.“
Während er sich noch über diese Fürsorge amüsierte, warf Roxy ihm einen Blick über die Schulter zu und war dann plötzlich wie erstarrt. Schnell wich sie zwei Schritte zurück. Dagan wusste, dass sie die beiden Schatten hinter ihm entdeckt hatte, wunderte sich jedoch darüber, dass sie in diesem Dickicht in einer mondlosen Nacht überhaupt etwas sehen konnte. Für ihn selbst war das kein Problem. Er konnte Alastor und Gahiji so deutlich erkennen, als stünden sie im hellen Tageslicht. „Das ist schon in Ordnung. Sie gehören zu mir“, erklärte Dagan knapp.
Roxys ganze Körpersprache zeigte deutlich, dass sie dem Frieden nicht traute. Dass sie Dagan immer noch nicht traute. Sie ließ die Schatten nicht aus den Augen, auch wenn sie sicher nicht mehr als vage Schemen erkennen konnte.
„Dann haben sich die beiden wohl vorhin auf meiner Veranda herumgetrieben“, meinte sie. „Sind das deine Hilfstruppen?“
„Sagen wir mal: Verbündete.“
Als Naamah Dagan die Hand versengt hatte, hatte Alastor sofort gespürt, dass sein Bruder ihn brauchte, und hatte sich zusammen mit Gahiji mitten ins Kampfgetümmel gestürzt. Dagan vermutete, dass Gahiji sich nicht aus ganz freien Stücken dazu entschieden hatte mitzukommen. Denn Sutekh war nach dem Verlust von Lokan vorsichtig geworden und bestand darauf, dass seine Söhne nicht mehr ohne Rückendeckung agier ten.
Doch Gahiji war nicht die schlechteste Wahl. Er war seit fast zwei Jahrtausenden Seelensammler. Seine Loyalität zu seinem Herrn und seine Zuverlässigkeit waren überall bekannt. Er erledigte seine Aufträge mit der Präzision eines Uhrwerks und lieferte die Schwarzen Seelen bei Sutekh ab. Kurzum, er war Sutekhs Mann.
Früher einmal hatte Dagan seinen Vater gefragt, womit Gahiji sich seine besondere Stellung eigentlich verdient hatte. Die Antwort hatte gelautet: „Er ist eine eiserne Faust in einem Samthandschuh.“ Dagan hatte damit wie mit so vielen Aussagen seines Vaters nichts anfangen können und deshalb ungeduldig nachgefragt: „Könntest du vielleicht deutlicher werden?“
„Ich gebe ihm das Gefühl, meiner würdig zu sein, weil er es ist. Er ist wichtig für mich, und das weiß er auch. Er ist frei von Angst, aber eine bestimmte Furcht begleitet ihn stets. Und das ist die Furcht, mich zu enttäuschen. Er würde jederzeit seine Existenz dafür hergeben, wenn sein Ende mir von Nutzen sein kann.“
Da hatte Dagan verstanden. Das war genau die Art von Loyalität, die Sutekh verlangte und zu der er seine Söhne hatte erziehen wollen. Das hatte allerdings nicht ganz geklappt. Diese
Weitere Kostenlose Bücher