Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Herzenstimmen

Herzenstimmen

Titel: Herzenstimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Sendker
Vom Netzwerk:
kein guter Buddhist. Möchte es wohl auch nicht sein.
    Du hast mir gezeigt, dass ein Teil meiner Seele noch immer in Gefangenschaft lebt. Immer leben wird.
    Vielleicht ist dies der Moment, in dem ich mir eingestehen muss, dass ich nicht so frei bin, wie ich gedacht hatte.
    Verzeih mir meinen Irrtum. Verzeih mir, sollte dieser Brief, sollte mein Verhalten Dir Schmerzen zufügen. Nichts läge mir ferner, als Dich zu verletzen. Doch ich muss fort, einen anderen Ausweg sehe ich nicht.
    Ich danke Dir für alles.
    Pass gut auf Dich auf.
    Thar Thar
    Der Brief traf mich völlig unvorbereitet. Ich überflog ihn ein zweites Mal, biss mir auf die Lippen und wandte mich ab. So ein Feigling, schoss es mir als Erstes durch den Kopf. So ein gemeiner Feigling. Wie konnte er mich hier mit diesen Zeilen sitzen lassen. Mir nicht einmal die Chance geben, ihm zu antworten. Nicht mit einem Satz zu fragen, wie es mir wohl geht. Ob es vielleicht eine andere Lösung geben könnte, als einfach wegzufahren. Ich war zu verletzt, um einen klaren Gedanken zu fassen. Was meinte er mit der Gefangenschaft, in der er noch lebt? Worin war er gefangen? In seiner Liebe zu Ko Bo Bo? Warum hatte er mir das nicht gleich gesagt? Hatte er nur mit mir schlafen wollen?
    Verzeih mir meinen Irrtum. Verzeih mir, sollte dieser Brief, sollte mein Verhalten Dir Schmerzen zufügen. Was denn vielleicht sonst? Mich amüsieren? Ich hätte vor Wut schreien können. Wo war er? Wusste Moe Moe, wo er sich versteckte? Würde sie es mir verraten? Gab es eine Chance, ihn noch ein zweites Mal zu finden? Wollte ich das überhaupt?
    Mein Bruder war erwacht und hatte sich aufgerichtet. Er trank einen Schluck Wasser und beobachtete mich über den Becher hinweg.
    Ich spürte, wie mir die Tränen kamen.
    »Wusstest du, was er vorhat?«, fragte ich und erschrak selber über meinen schroffen Ton.
    »Wer?«
    »Thar Thar natürlich, wer sonst?«, blaffte ich ihn an.
    U Ba schüttelte langsam den Kopf, ließ mich dabei nicht aus den Augen.
    »Hast du es geahnt? Sei ehrlich.«
    »Nein. Er hat mir nichts gesagt. Was ist mit ihm?«
    Ich zuckte hilflos die Schultern und schob ihm den Brief zu.
    Er las ihn sorgfältig, schüttelte dabei hin und wieder leicht den Kopf, als könne er nicht glauben, was dort stand. Danach faltete er ihn zusammen und gab ihn mir zurück.
    »Wir fahren«, sagte ich abrupt.
    »Wann?«
    »Heute. Jetzt.«
    »Möchtest du nicht …«
    »Nein. Du hast selber gesagt, der Abschied wird umso schwerer fallen, je länger wir bleiben.«
    Er nickte.
    »Deshalb fahren wir so schnell wie möglich.«
    Ich stand auf, zog Jeans und Jacke über und stopfte eilig meine wenigen Sachen in den Rucksack. Thar Thars Zeilen hätten eindeutiger nicht sein können: Er wollte mich nicht mehr sehen. Er ertrug meine Nähe nicht, er würde erst zurückkommen, wenn wir das Kloster wieder verlassen hatten. Je schneller wir abreisten, desto besser. Ich faltete hastig die Decken, rollte Matten und Schlafsack zusammen. Als ich meinem Bruder helfen wollte, winkte er ab.
    Moe Moe hockte in der Küche und stocherte mit einem Stock in der Glut des Feuers. Sie schaute erschrocken auf, als ich eintrat. »You? Go?«
    »Yes, we leave.«
    »Leave?«, wiederholte sie fragend.
    »Go. Yes, we go!«, erwiderte ich streng.
    Ihr Blick. Er haftete an mir und drückte eine so tiefe Enttäuschung aus, dass ich verlegen wurde.
    »I am very sorry«, erklärte ich jetzt ruhiger. »I … we …« Wie sollte ich ihr in einer Sprache, die sie kaum verstand, etwas erklären, für das ich selber nur schwer Worte fand?
    »I must go!«, sagte ich, jedes Wort sorgfältig betonend. »Understand?«
    Sie deutete ein Kopfschütteln an. »Why?«
    Mein Bruder kam hinzu, und ich bat ihn, ihr zu sagen, dass mein Urlaub zu Ende ginge, dass ich wieder zur Arbeit müsste, dass es mir sehr gut gefallen habe, dass ich ihren Tee am Morgen vermissen würde und dass ich sicher wiederkäme. Während U Ba zu ihr sprach, wechselte ihr Blick zwischen ihm und mir hin und her. Plötzlich unterbrach sie ihn mit einer Frage, er antwortete etwas, sie wiederholte insistierend, was sie gesagt hatte.
    »Moe Moe möchte wissen, wann du wiederkommst«, sagte er mir zugewandt.
    »Wann?« Ich lachte verlegen. »Oh … bald. Ganz bald.«
    U Ba übersetzte, und ich sah in ihren Augen, dass ihr das als Antwort nicht genügte.
    »Stay«, sagte sie plötzlich mit ernster Stimme. Es klang fast wie eine Anordnung. Wo mochte sie das Wort herhaben? Von mir hatte sie es

Weitere Kostenlose Bücher