Herzenstimmen
glaube ich nicht.«
Nicht alles, was man erklären kann, ist wahr.
Nicht alles, was wahr ist, kann man erklären.
»Das kann ich Ihnen nicht verdenken. Es ist eine ganz und gar ungewöhnliche Geschichte. Aber ich bin überzeugt, dass es sich so zugetragen hat.«
»Wie lange bleibt die Seele in mir, bis sie weiterwandert?«
»Bis zu Ihrem Tod.«
»Für immer? Ich werde sie nicht wieder los?«
Er wippte mit dem Oberkörper ein wenig hin und her und nahm meine Hände. »Eine Möglichkeit gibt es, sie zurückzuführen …«
Der Mönch hielt inne und schaute mich lange an. »Sie müssen herausfinden, wer diese Frau war. Sie müssen herausfinden, warum sie starb. So, und nur so hat sie die Chance, zur Ruhe zu kommen. Dann könnte sie Ihren Körper wieder verlassen. Aber Sie würden sich auf eine lange Reise begeben. Eine Reise, von der Sie nicht wissen, wohin sie Sie führt. Wollen Sie das?«
11
E in warmer Wind spielte mit meinen Haaren, die Sonnestand fast senkrecht am Himmel und blendete. Ich stand im Schatten eines Flugzeugrumpfes, hielt mir eine Hand über die Augen und betrachtete meine Umgebung. Der Flughafen von Heho bestand aus einem winzigen Terminal, einer Start- und Landebahn und einem Tower, der nicht über die Baumwipfel hinausragte. Unsere Maschine war das einzige Flugzeug. Wie ein Eindringling aus einer sehr fremden, sehr fernen Welt stand es auf dem Rollfeld.
Der Pilot hatte die Triebwerke abgeschaltet, ich hörte nichts außer dem Rauschen des Windes. Die anderen Passagiere, eine Reisegruppe aus Italien, einige Burmesen und zwei Mönche, waren vorausgegangen und verschwanden nach und nach in der kleinen Ankunftshalle. Drei Männer zogen einen Gepäckwagen hinter sich her, beladen mit Koffern, Taschen und Rucksäcken. Eine Böe wirbelte eine dünne, hellbraune Sandwolke auf und trieb sie über das Feld. Ich nahm meine Tasche und folgte zö gernd den Männern. Immer wieder blieb ich stehen und schaute mich um. Als müsste ich mich vergewissern, wo ich gelandet war.
Die Tage seit dem Gespräch mit dem Mönch hatte ich in einer Art Trance verbracht. Mein Entschluss, seinem Rat zu folgen. Amys Ermunterungen, als fürchte sie, ich könnte es mir noch einmal anders überlegen. Meine eiligen Reisevorbereitungen in New York und mein ständiger Kampf mit der Stimme, die unter keinen Umständen wollte, dass ich fahre. Der lange Flug nach Bangkok, die verspätete Ankunft, der verpasste Anschluss nach Rangun. Stundenlanges Warten in einer Lounge. Einen Großteil der Reise hatte ich im Halbschlaf mehr oder weniger vor mich hin gedämmert.
Jetzt spürte ich, wie die Strapazen, meine Erschöpfung und Müdigkeit mit jedem Schritt ein wenig mehr von mir abfielen. Die Aufregung war zu groß. Ich konnte es kaum mehr erwarten, meinen Bruder wiederzusehen. Mit seiner Hilfe würde ich dem Schicksal der Stimme in mir auf die Spur kommen.
Vor dem Flughafen war nichts los, lediglich ein alter, zerbeulter Toyota wartete mit heruntergekurbelten Fenstern auf einem sandigen Platz vor einer Bretterbude. Hinter dem Lenkrad saß der Fahrer und schlief. Auf die Tür hatte jemand mit schwarzer Farbe das Wort Taxi gemalt. Ich klopfte zaghaft gegen das Blech. Der Fahrer rührte sich nicht. Ein zweites Klopfen, kräftiger. Er hob den Kopf und blickte mich aus verschlafenen Augen an.
»Können Sie mich nach Kalaw bringen?«
Der Mann lächelte freundlich, gähnte und streckte sich. Er stieg aus, band sich seinen Longy neu, öffnete mit einem Schraubenzieher den Kofferraum, verstaute meinen Rucksack, versuchte, die Haube trotz des kaputten Schlosses zu schließen, und als das nicht gelang, nahm er einen Draht zu Hilfe, den er durch ein Loch, das der Rost in das Metall gefressen hatte, zog und um die Stoßstange wickelte. Er griff von außen durch das Fenster und machte mir die Tür auf. Die Sprungfedern zeichneten tiefe Kreise in das abgewetzte Polster. Vorne gab es weder Armaturen noch eine Verkleidung, sondern nur ein wildes Durcheinander von schwarzen, gelben und roten Kabeln und Drähten. Ich zögerte.
Er nickte mir aufmunternd zu, und ich stieg ein. Kurz darauf hielten wir an einem Stand am Straßenrand, der Fahrer kaufte eine Tüte Betelnüsse und einen frisch geflochtenen Kranz aus weißem Jasmin, den er sich um den Rückspiegel hängte. Einen Augenblick lang erfüllte dieser Duft den ganzen Wagen.
Der Fahrtwind war kühl und trocken. Ich versuchte, ein Fenster hochzukurbeln, aber an beiden Seiten fehlten die
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