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Herzenstimmen

Herzenstimmen

Titel: Herzenstimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Sendker
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Orts führte. Sie war gesäumt von Weihnachtssternsträuchern, Oleander- und Holunderbüschen und in einem besseren Zustand, als ich sie in Erinnerung hatte. Passanten schlenderten gemächlich, die meisten Hand in Hand oder eingehakt. Fast alle grüßten mich mit einem Lächeln. Ein kleiner Junge kam mir auf einem viel zu großen Fahrrad entgegen und rief mir »How are you?« zu.
    Bevor ich antworten konnte, war er um die nächste Ecke gebogen.
    Ich gelangte an eine Weggabelung, blieb stehen und versuchte mich zu orientieren. Rechts lag ein kleiner Park mit den überwucherten Resten eines Minigolfplatzes, am Eingang parkten zwei Pferdekutschen im Schatten einer Pinie. Links führte die Hauptstraße ins Zentrum. Ich folgte ihr und kam an einer Schule vorbei, aus deren offenen Fenstern Kinderstimmen klangen.
    Und dann entdeckte ich U Ba. Ich erkannte ihn schon von Weitem. Ich erkannte ihn an seinem Gang, an seinem leicht federnden Schritt. An seiner Art, mit der rechten Hand den Longy ein wenig anzuheben, um schneller laufen zu können. Er ging auf der Straße und kam geradewegs auf mich zu. Ich spürte mein Herz rasen. Alles in mir erinnerte sich.
    Mir schossen Tränen in die Augen. Ich schluckte, presste die Lippen fest aufeinander. Wo war ich so lange gewesen? Warum hatte ich meiner Sehnsucht nach U Ba, nach Kalaw nie nachgegeben? Wie schwer es ist, seinem Herzen zu folgen. Wessen Leben hatte ich in den vergangenen zehn Jahren gelebt?
    Er blickte auf und entdeckte mich. Wir verlangsamten beide unsere Schritte. Blieben kurz stehen, gingen weiter, bis wir uns gegenüberstanden.
    Ein großer Mensch und ein kleiner. Ein nicht mehr ganz junger und ein noch nicht ganz alter. Bruder und Schwester.
    Ich wollte ihn umarmen, ihn fest an mich drücken, aber mein Körper gehorchte nicht. U Ba war es, der die Spannung durchbrach. Er machte einen kleinen, letzten Schritt auf mich zu, streckte seine Arme aus, nahm mein Gesicht behutsam in seine Hände. Schaute mich aus müden und erschöpften Augen an. Ich sah, wie sie wässrig wurden. Wie sie sich füllten, Tropfen für Tropfen, bis sie überliefen.
    Seine Lippen zitterten.
    »Ich habe mir Zeit gelassen«, flüsterte ich.
    »Das hast du. Verzeih mir, dass ich dich nicht vom Flughafen abgeholt habe.«
    »U Ba! Du wusstest doch gar nicht, dass ich komme.«
    »Nein?« Ein Lächeln, ein kurzes nur.
    Ich nahm ihn in den Arm, er stellte sich auf die Zehenspitzen und legte für einen Moment den Kopf auf meine Schulter.
    Es gibt große Träume. Und kleine.
    »Wo sind deine Sachen?«
    »Im Hotel.«
    »Dann müssen wir sie nachher holen. Du wirst doch bei mir wohnen, oder?«
    Ich dachte an seine Hütte. Ich dachte an den Bienenschwarm, das durchgesessene Sofa, das Schwein unter dem Haus. »Ich weiß nicht, ich möchte dir nicht zur Last fallen.«
    »Zur Last fallen? Julia, es ist mir eine Ehre.« Er stockte kurz und fuhr dann leise und mit einem Augenzwinkern fort: »Außerdem würden die Menschen in Kalaw nicht mehr mit mir reden, wenn sie erführen, dass ich meine Schwester, die um die ganze Welt gereist ist, um ihren Bruder zu besuchen, in einem Hotel wohnen lasse. Ausgeschlossen.«
    U Ba hakte sich bei mir unter und zog mich in die Richtung, aus der er gekommen war. »Jetzt gehen wir erst einmal einen Tee trinken und etwas essen. Du musst hungrig sein von der langen Reise, oder nicht? Gibt es in diesen Flugzeugen überhaupt etwas zu essen?«
    Wir überquerten die Straße und steuerten auf ein Restaurant zu. Es hatte eine große Terrasse mit Sonnenschirmen, niedrigen Tischen und winzigen Hockern und war gut besucht. Wir setzten uns unter einen der Schirme an den letzten freien Tisch. Meine Knie waren höher als die Tischplatte.
    Neben uns hockten zwei Frauen, die sich angeregt unterhielten, auf der anderen Seite saßen Soldaten in grünen Uniformen, die U Ba mit einem kurzen Nicken begrüßte.
    »Das Lokal gehört den Besitzern des Teehauses, in dem wir uns das erste Mal begegnet sind«, sagte er und hustete.
    Ich dachte an die alte schäbige Bretterbude mit dem staubigen Fußboden und der schmierigen Vitrine voller Kekse und Reiskuchen, auf denen immer Dutzende von Fliegen gesessen hatten. »Sie haben sich verbessert.«
    »Du hast ihnen Glück gebracht«, erwiderte U Ba und strahlte mich an.
    Mein Bruder betrachtete mich lange, ohne ein Wort zu sagen. Der Tee kam in zwei Espressotassen. In meiner schwamm ein totes Insekt. »Oh, so sorry«, sagte die Kellnerin, als ich sie darauf

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