Herzflattern im Duett
eigentlich werden? Eine Zirkusnummer? Oder hast du gedacht, du könntest fliegen?« Olaf Zecher lächelte.
Daka sah den Hausmeister an und nickte langsam. In ihren Augen standen Tränen.
Olaf Zecher zog sich das Herz zusammen. Er hasste Tränen. Er konnte keine Filme sehen, in denen geweint wurde, er konnte noch nicht einmal Schluchzen im Radio hören. Weinen war bei ihm ansteckend wie bei anderen Menschen Gähnen. Schnell legte er seinen Arm um Dakarias Schulter und zog sie an sich heran.
Dakaria schluchzte laut in seine blaue Handwerkerweste. Ihre Tränen rannen über Herrn Zechers MP3-Spieler. Doch das war ihm egal.
Er hatte das Kinn auf Dakarias Kopf gestützt und schluchzte ebenfalls. Nur nicht so laut. »Weißt du, ich wollte als Kind auch immer fliegen«, sagte Olaf Zecher.
Daka schluchzte.
»Ich hatte mir aus Butterbrotpapier Flügel gebastelt und als Antrieb einen alten Ventilator umgebaut. Und meinst du, es hat funktioniert?«
Daka hörte einen Moment auf zu schluchzen und sah den Hausmeister erwartungsvoll an.
»Natürlich nicht. Sonst wäre ich doch nicht mehr hier. Ich bin damals vom Schuppendach bis zum Komposthaufen geflogen. Ganze vier Meter. Ich weiß es noch wie heute: Ich lag mit dem Gesicht im Komposthaufen. Dann blickte ich nach oben in den Himmel. Und in dem Moment kackte mir ein Vogel auf die Stirn. Das war ein Zeichen.«
Daka schluchzte wieder.
»Menschen können nicht fliegen«, flüsterte Herr Zecher Daka ins Ohr, als hätte er ihr damit ein großes Geheimnis verraten. »Wir können laufen, springen, hüpfen, schwimmen und kriechen. Aber nicht fliegen.« Olaf Zecher dachte einen Moment nach. »Vielleicht ist es auch ganz gut so. Stell dir mal vor, wie sonst der Himmel aussehen würde! Voller Verkehrszeichen und Ampeln. Über Ortschaften gäbe es Geschwindigkeitsbegrenzungen und zum Ferienbeginn und Ferienende wäre der Himmel schwarz vor Reiselustigen. Stell dir die Verkehrsmeldungen vor: Stau auf der Luftlinie L9 zum Mittelmeer. Bitte weichen Sie auf untere und obere Luftschichten aus. Achtung: Auf der Luftlinie L63 kommt Ihnen ein Geisterflieger entgegen. Unser Blitzmelder Alfons meldet: Südlich der Alpen zieht ein Gewitter auf.«
Daka sah den Hausmeister erstaunt an. Sie vergaß dabei sogar zu schluchzen. Herr Zecher hatte recht. Es war ein Glück, dass Menschen nicht fliegen konnten.
Olaf Zecher reichte Dakaria ein zerknittertes Taschentuch.
Daka wischte sich damit die Tränen ab, dann schnaufte sie kräftig hinein.
Währenddessen tupfte sich der Hausmeister selbst die Tränen aus den Augenwinkeln.
Es klingelte. Die große Pause war zu Ende.
»Geht es dir jetzt besser?« Olaf Zecher musterte Dakaria. »Kommst du mit der Neuigkeit klar, dass Menschen nicht fliegen können?«
Daka zwang sich zu einem kurzen Lächeln und nickte. »Ich muss dann«, sagte sie und reichte dem Hausmeister das feuchte Taschentuch zurück. »Vielen Dank.« Sie verschwand mit schnellen leisen Schritten aus der Turnhalle.
Mit der Tatsache, dass Menschen nicht fliegen konnten, kam Daka ausgezeichnet klar. Aber nicht mit der Neuigkeit, dass sie nicht mehr fliegen konnte.
Fünf Probleme
S ilvania lag in ihrem Bett und starrte an die Decke. Sie konnte nicht schlafen. Vom Schiffsschaukelsarg, aus dem nur noch Dakas große Zehen und ihre Nasenspitze zu sehen waren, kamen leise Schnarchgeräusche. Silvania richtete sich auf. Sie sah zu ihrer Schwester. Wie konnte sie nur schlafen? Es war gerade mal 23 Uhr und draußen war alles dunkel. Viel zu dunkel, um zu schlafen.
Normalerweise hatte Silvania immer mit ihrer Schwester wach gelegen und sich darüber gewundert, dass die Menschen den Tag zur Nacht machten und im grellen Sonnenlicht – was, wie alle Wissenschaftler bestätigten, schlecht für die Haut war – aktiv waren. Doch heute war Daka eingeschlafen, kaum dass sie sich in ihren Schiffsschaukelsarg gelegt hatte. Sie hatte Karlheinz noch nicht einmal einen Gutenachtkuss gegeben, wie sie es sonst meistens tat.
Silvania seufzte. Sie hätte heute so gerne mit Daka geredet. Ihr schwirrte so viel im Kopf herum. Sie bekam die Gedanken alleine nicht in den Griff. Allerdings schien Daka heute selbst etwas verwirrt. Vor allem nach der großen Pause. Silvania hatte sie gefragt, was los war. Daka antwortete, sie würde es ihr später erzählen. Und jetzt war sie einfach eingeschlafen. War Daka sauer, weil Silvania den Knet-Karlheinz zu Boden fallen lassen hatte?
Silvania wusste es nicht. Sie kam nicht
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