Herzflattern im Duett
Fußballstadion zur Welt gekommen und nicht in einer unterirdischen Vampirklinik in Bistrien. Allerdings hatte sie die Spielregeln noch nicht ganz verinnerlicht. So kam es vor, dass sie manchmal auch Blackcastle United anfeuerte. Das brachte ihr einen verwirrten Blick von Opa Gustav und einen leichten Ellbogenstoß von Helene ein.
Noch verwirrter sah Opa Gustav allerdings seinen Schwiegersohn und Silvania an. Die beiden feuerten weder den FC Bindburg noch Blackcastle United an. Sie klatschten noch nicht einmal. Keinen Mucks gaben sie von sich. Das Spiel ließ sie vollkommen kalt. Das lag womöglich daran, dass sie Kopf an Kopf aneinanderlehnten und schliefen. Herr Tepes schnarchte so laut, dass es über die Fangesänge hinweg zu hören war. Sein Lakritzschnauzer erzitterte bei jedem Schnarcher. Silvania zuckte ab und zu im Schlaf zusammen, wenn ein Fan hinter ihnen in seine Tröte blies. Doch sie wachte nicht auf.
Gustav Wagenzink war es unbegreiflich, wie man in einem Fußballstadion schlafen konnte. Vor allem, wenn der FC Bindburg spielte! Er schüttelte ungläubig den Kopf, als der Schiedsrichter gerade zur Halbzeitpause pfiff.
Ludo, der zwischen Oma Rose und Mihai Tepes saß, stieß die beiden Schlafenden an.
Herr Tepes wachte mit einem animalischen Grunzen auf. »Was gibt's, Lumpu?«
»Halbzeit«, sagte Ludo. Er hatte sich daran gewöhnt, dass Herr Tepes sich seinen Namen nicht merken konnte.
»Du hast ganz schön was verpasst!«, bellte Gustav Wagenzink seinem Schwiegersohn zu.
Mihai Tepes sah zur großen Anzeigetafel, auf der 0 : 0 stand. »Bei dem Spielstand?«
Herr Wagenzink winkte ab. Wie sollte man jemandem, der es spannend fand, wenn zwei Zecken gegeneinander um die Wette liefen, erklären, was an einem Fußballspiel spannend war – selbst, wenn keine Tore gefallen waren?
Auch Silvania war aufgewacht. Sie blinzelte verschlafen in die Menschenmenge und gähnte. Als ihr die viel zu langen Eckzähne einfielen, hielt sie sich schnell die Hand vor den Mund. Plötzlich riss sie die Augen auf. Sie hatte in der Menge ein bekanntes Gesicht entdeckt. Es war ein längliches, blasses Gesicht. Die Nase war etwas spitz. Die linke Wange schmückte ein Leberfleck. Die Augen standen etwas schräg und waren hellgrau. So grau wie ein Winterhimmel. In die hohe Stirn fielen ein paar rotblonde Strähnen. »Jacob!«, rief Silvania und winkte mit ihrem Schal. »JAAACOOOB!«
Jacob sah suchend zum Block hinüber, in dem die Tepes saßen. Dann entdeckte er sie. Seine Nachhilfeschülerin. Sie winkte ihm. Mit einem Schal. Mit seinem Schal. Jacob zögerte eine Sekunde. Dann winkte er mit seinem gelb-schwarzen Fanschal zurück.
Er sah, wie sich ein älterer Mann zu Silvania hinüberbeugte und etwas zu ihr sagte, woraufhin Silvania kurz die Schultern zuckte. Dann richtete sich der ältere Herr auf, rückte seinen grün-weißen Fanschal zurecht und warf Jacob einen Blick zu, der einem Foul gleichkam.
Jacob ließ den Blick über Silvanias Begleiter schweifen. Er erkannte Herrn und Frau Tepes, Ludo, Helene und Daka. Er hob die Hand, um Daka zu grüßen. Diese schnappte sich daraufhin von ihrem Vordermann eine grün-weiße Fankappe, setzte sie auf und streckte Jacob die Zunge heraus. Es war eine lange, spitze violette Zunge. Sie war gut zu sehen.
Jacob ließ die Hand langsam sinken. Auch, wenn Silvania es ihm beteuert hatte: Normal waren diese Tepes auf keinen Fall.
Daka kämpfte sich mit Helene zurück zu ihren Sitzplätzen. In der linken Hand hielt sie einen Becher mit Schorle, in der rechten ein Baguette. Ein warmes, dampfendes Baguette mit einer weißlichen, schmelzenden Creme und kleinen hellen Stückchen darauf.
Ein Knoblauchbaguette.
Als Daka sich an der kleinen Imbissbude das Baguette bestellt hatte, hatte sie ihren eigenen Ohren beinahe nicht getraut. Sie, Dakaria Tepes, bekennender und praktizierender Halbvampir aus Bistrien, bestellte sich ein Knoblauchbaguette?!? Auch Helene hatte sie mit großen Augen angesehen. Daka konnte nur mit den Schultern zucken. Sie hatte auf einmal totalen Appetit auf Knoblauch. Woher der Appetit kam, wusste sie auch nicht. Sie wusste nur eins: Er musste gestillt werden. Sofort.
Vielleicht, überlegte Daka, während sie sich mit dem Baguette und dem Becher durch die Sitzreihen zwängte, ist das die Integration, von der immer alle reden. Wenn ein Halbvampir ein Knoblauchbaguette aß – freiwillig! –, dann war er bestimmt eingebürgert. Das war ja dann doch recht schnell gegangen,
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