Herzflimmern
Spaziergang vor dem Abendessen?« fragte er.
Es war ein schöner Februarabend. Der im Glanz der untergehenden Sonne flammende Himmel begann langsam zu verblassen, und vom Horizont zog mit samtigem Lavendelblau der Abend herauf. Auf der Station wurde überall mit verstärktem Eifer gearbeitet; man wollte das letzte bißchen Tageslicht noch nützen.
Sondra mochte Alec MacDonald. Er strahlte eine ruhige Sicherheit aus. Sie mochte sein warmes Lächeln und seine Ungezwungenheit, und den feinen Geruch nach Old Spice und Pfeifentabak, der ihn immer begleitete.
»Ich habe mir vorhin den alten
Mzee
Moses noch einmal angesehen«, bemerkte Alec, als sie an dem alten Feigenbaum vorübergingen. »Er spuckt kein Blut mehr, und seine Lunge hört sich normal an. Gott sei Dank.«
Sondra nickte und schob die Hände in die Taschen ihrer dicken Wolljacke. Sie schwiegen eine Weile, während sie unter Jacarandabäumen und Bougainvillea dahingingen.
»Jetzt wird bald die Regenzeit kommen«, bemerkte Alec, der das Schweigen nicht recht auszuhalten schien. »Man kann das versengte Gras riechen, das die Massai abgebrannt haben.«
Sondra wechselte hier und dort einen Gruß mit Leuten, an denen sie vorüberkamen. Sie hielt nach Derry Ausschau, aber der war nirgends zu sehen.
Nach ein paar Minuten merkte sie, daß Alec sehr geschickt das Gespräch vom Wetter auf seine Heimat gelenkt hatte.
»Wir haben manchmal eisige Stürme. Wenn man wie du aus Arizona kommt, findet man die Inseln da oben am Ende der Welt wahrscheinlich rauh und primitiv. Aber sie besitzen auch eine ganz seltene Schönheit. Ich glaube sicher, es würde dir dort gefallen.«
Als sie zu der kleinen Kirche kamen, blieb Alec im letzten Sonnenlicht stehen und wandte sich ihr zu.
»Ich weiß nicht, wie ich anfangen soll, Sondra«, sagte er ein wenig hilflos. »Seit Tagen schlage ich mich damit herum und immer wieder lande ich beim Wetter.«
Sie sah ihn fragend an.
Er legte ihr die Hände auf die Schultern und sah ihr in die Augen.
»Ich möchte dich bitten, mich zu heiraten«, sagte er leise. »Ich möchte dich bitten, mit mir nach Schottland zu gehen.«
{203}
Sondra blickte ihn wortlos an. Plötzlich konnte sie vor sich sehen, was Alec beschrieben hatte: die Inseln in ihrer kargen Schönheit, das uralte Haus, in dem die Familie seit Generationen lebte, die Brüder und Schwestern, das behagliche Leben der Sicherheit und Geborgenheit im Schoß einer großen Familie, das er ihr bot.
»Du brauchst mir nicht gleich eine Antwort zu geben, Sondra. Ich weiß, es kommt dir überraschend. Ich will dich nicht unter Druck setzen. Wir haben hier noch sieben Monate. Da bleibt dir genug Zeit, es dir zu überlegen. Ich kann dir nur sagen, daß ich dich sehr liebe und für immer mit dir zusammensein möchte.«
Er neigte sich zu ihr, um sie zu küssen, und Sondra wehrte ihn nicht ab. Doch als er sie näher an sich zog, sein Kuß leidenschaftlicher wurde, tauchte Derrys Bild vor ihr auf. Er war stets in ihren Gedanken und ihren Träumen. Es war nicht recht, Alec zu küssen, ihm falsche Hoffnungen zu machen.
Schritte klangen durch die abendliche Stille. Sondra und Alec trennten sich, und Derry, der eben um die Ecke der Kirche gekommen war, blieb stehen. Einen Moment zögerte er, dann sagte er, als hätte er nichts bemerkt: »Ich habe Sie gesucht, Sondra. Es möchte Sie jemand sprechen.«
Sie folgte ihm, begleitet von Alec, durch den Hof, und als er ins Krankenhaus hineinging, fragte sie sich, zu wem er sie bringen würde. Die Antwort bekam sie, sobald sie in den Saal trat.
Hinten am anderen Ende wartete Ouko, der neunzehn Tage lang von allem Leben im Krankenhaus abgeschirmt gewesen war. Die Wandschirme waren entfernt worden; der kleine Junge saß aufrecht in seinem Bett und aß den Haferschleim, mit dem Rebecca ihn fütterte.
Als die drei Ärzte sich näherten, hörte Ouko zu essen auf und sah ihnen mit großen Augen entgegen. Rebecca wischte ihm das Kinn mit einer Serviette ab.
»Hallo, Ouko«, sagte Sondra lächelnd.
Der Junge erwiderte das Lächeln. Er war immer noch erbärmlich dünn und zu schwach, um selber einen Löffel zu halten, aber seine Augen und sein Lächeln waren voller Lebendigkeit.
»Ouko«, sagte Derry im Dialekt der Massai. »Das ist die
memsabu
,die dich wieder gesundgemacht hat.«
Der Junge wurde tiefrot und murmelte leise ein paar Worte.
Derry wandte sich zu Sondra. »Ouko dankt Ihnen. Er sagt, er wird Sie niemals vergessen.«
Sondra spürte, wie ihr die
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