Herzflimmern
hierher gekommen waren, hatte er seine Zweifel gehabt, daß sich das alles würde vereinbaren lassen – Familie, Haushalt und Beruf. Sie hatte oft mehr als hundert Stunden in der Woche arbeiten müssen, und als sie Sarah erwartete, hatten die Wehen eingesetzt, während sie im Krankenhaus ihre tägliche Runde gemacht hatte. Aber sie war ruhig weiter von Zimmer zu Zimmer gegangen, um nach ihren Patienten zu sehen, hatte nur hin und wieder im Korridor eine Pause eingelegt und gewartet, bis eine Wehe vorbei war. Als alle Patienten versorgt waren, war sie seelenruhig auf die Entbindungsstation gegangen, hatte die Schwestern von der bevorstehenden Niederkunft informiert und sich in den Kreißsaal neben eine ihrer eigenen Patientinnen gelegt.
Anfangs hatte es Arnie gestört, daß das Haus in ständiger Unordnung war, daß er morgens soundsooft kein frisches Hemd finden konnte und abends, wenn er müde nach Hause kam, das Essen kochen und die Kinder {219} zu Bett bringen mußte; aber er hatte sich daran gewöhnt und fand überhaupt nichts Ungewöhnliches mehr daran, daß er Verdiener und Hausmann zugleich war. Es waren fünf volle, erfüllte Jahre gewesen und sie waren im Nu vorbeigegangen. Arnie hatte eine Stellung bei einer Wirtschaftsprüferfirma in Seattle, bei der er gut verdiente, und er nahm immer wieder private Aufträge an – als Steuer- und Investmentberater –, um etwas dazu zu verdienen. Und jetzt hatte Ruth ihre klinische Ausbildung endlich abgeschlossen und in Winslow ihre eigene Praxis eröffnet; da würden sie nicht mehr so zu sparen brauchen und es würde ihm nie mehr an frischen Hemden fehlen.
»Kommst du nicht zu spät, Arnie?« fragte Ruth.
Arnie sah auf die Wanduhr, die fast ganz unter Kinderzeichnungen versteckt war, und stellte fest, daß sie schon wieder stehengeblieben war. Es war eine dieser neuen Uhren, mehr extravagant als praktisch – ein gerahmter Spiegel, in dessen eine Ecke eine kleine Uhr eingebaut war; keine Drähte, keine Steckdosen, nur Batterien, die dauernd leer waren. Ruths Schwester hatte sie ihnen im vergangenen Januar geschenkt, als eine Meute Shapiros über das Haus hergefallen war, um Arnies und Ruths fünften Hochzeitstag zu feiern.
Fünf Jahre. Fünf Jahre Opfer und Verzicht und Geduld. Aber es hatte sich gelohnt. Sobald Ruth sich in ihrer Praxis niedergelassen und regelmäßige Arbeitszeiten hatte wie jeder andere Mensch, würde sie abends immer zu Hause sein und mehr Zeit für ihre Familie haben. Ja, dachte Arnie wohl zum tausendstenmal, es hatte sich gelohnt.
Er hatte in letzter Zeit öfter einmal einen längeren Blick in den Spiegel riskiert. Vor allem inspizierte er seinen Haaransatz, der sichtbar zurückging. Jeden Morgen lagen ein paar Haare mehr auf dem Kissen; jeden Abend blieben ein paar mehr im Kamm hängen. Nun ja, er hatte im letzten Monat immerhin seinen vierzigsten Geburtstag gefeiert; er begann um die Mitte ein bißchen fülliger zu werden und trug seit kurzem die unvermeidliche Lesebrille.
Er klopfte mit einem Finger an die Wanduhr. Sie rührte sich nicht. In dem Spiegel sah er Ruth. Sie hatte Sarah wieder auf den Boden gesetzt und rieb sich mit einer Hand leicht den Bauch. Er hatte sich fest vorgenommen, ihr seine Beunruhigung nicht zu zeigen, aber er spürte sie dennoch.
»Soll ich wirklich nicht mitkommen?« fragte er so beiläufig wie möglich.
»Nein, nein, das ist nicht nötig, Liebling. Geh du mal arbeiten. Ich ruf’ dich an, wenn’s vorbei ist.«
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Wenn es vorbei ist. Die Untersuchung, bei der festgestellt werden sollte, ob sie dieses ungeborene Kind behalten sollten oder nicht.
Ruth hatte es von Anfang an mit großer Gelassenheit hingenommen. Im vergangenen Monat war sie von der Routineuntersuchung bei ihrer neuen Gynäkologin, Dr. Mary Farnsworth, nach Hause gekommen und hatte beim Abendessen ganz sachlich gesagt: »Ach, übrigens, Mary läßt dich bitten, mal vorbeizukommen. Wegen einer Blutprobe.«
»Wozu denn das?«
Ruth zuckte die Achseln. Doch an der Art, wie sie seinem Blick auswich, merkte er, daß etwas nicht stimmte.
»Sie hat mein Blut anscheinend auf einen bestimmten Faktor untersuchen lassen und hat ihn gefunden. Jetzt möchte sie deins auch noch untersuchen. Nur für den Fall.«
»Was heißt das? Was ist das für ein Faktor?«
Ruth hatte eine Regel: Bei den Mahlzeiten wurden keine unerfreulichen Dinge besprochen. Mahlzeiten mußten angenehm sein, ernste Gespräche wurden auf später verschoben. Doch an diesem
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