Herzflimmern
eine Salzstange, biß einmal davon ab und ließ sie auf ihren leeren Teller fallen.
»Habe ich dir eigentlich erzählt, Mickey, daß ich gern noch ein Kind hätte? Ja, wirklich. Ein letztes. Solange ich noch kann.«
»Hältst du das denn für klug?«
»Du redest wie Arnie. Ich möchte noch ein Kind, und er macht sich in die Hosen vor Angst. Weißt du, was er mir letzte Woche eröffnet hat? Daß er sich eine Vasotomie machen läßt, wenn ich aufhöre, die Pille zu nehmen. Findest du das fair?«
»Tut er es denn wirklich?«
»Nein. Ich nehme weiter die Pille. Aber es macht mich wirklich wütend. Jedesmal, wenn ich Leah ansehe, denke ich: Was wäre wenn ich von Tay-Sachs gewußt hätte, als ich mit Sarah schwanger war? Arnie hätte verrückt gespielt, und Leah wäre nie geboren worden.«
Ruth nahm die Salzstange von ihrem Teller und aß sie.
»Was für eine Idee«, sagte sie zornig. »Sich die Samenleiter durchschneiden zu lassen. Das ist doch nur eine andere Form männlicher Tyrannei. Die Vasotomie ist nichts weiter als eine Variation des Keuschheitsgürtels. Indem der Mann seiner Frau die Kontrolle über ihre eigene Empfängnis {258} oder Verhütung entreißt, versichert er sich, daß sie keine Seitensprünge macht. Ich kenne zwei Frauen, die ab und zu mal eine Affäre hatten. Sie mußten damit aufhören, als ihre Ehemänner sich die Samenleiter abbinden ließen; denn sie mußten natürlich sämtliche Verhütungsmittel wegschmeißen. Und eine Schwangerschaft können sie nicht riskieren, weil sie nicht die geringste Chance hätten, das Kind dann als seines auszugeben.«
Mickey wollte gerade etwas sagen, als hinter ihr eine fremde Stimme erklang. »Ruth! Was für eine nette Überraschung! Wie geht es Ihnen?«
Die Frau, die an ihrem Tisch stand, war um die fünfzig, konservativ gekleidet, das ergrauende Haar streng frisiert.
»Hallo, Lorna«, begrüßte Ruth sie lächelnd. »Setzen Sie sich doch zu uns. Darf ich Sie mit meiner Freundin Mickey Butler bekanntmachen?«
Lorna Smith war Redakteurin bei einer Zeitung in Seattle. Sie hatte Ruth kennengelernt, als sie als Patientin zu ihr gekommen war; später hatten sich gesellschaftliche Verbindungen über Arnies Kompagnon ergeben.
»Sie kennen sich also vom Medizinstudium her«, sagte Lorna, nachdem sie sich einen Bloody Mary bestellt hatte. »Das müssen interessante Zeiten gewesen sein, die Tage vor der Frauenbewegung.«
Bei der Erinnerung an einige der jungen Männer auf dem College und besonders an Dr. Moreno, den Anatomiedozenten, mußte Mickey lächeln.
»Darf ich Ihnen eine dumme Frage stellen, Mickey? Warum spricht man in Ihrem Fach von Plastik-Chirurgie? Arbeiten Sie mit Kunststoff?«
»Nein. Das Wort kommt vom Griechischen
plastikos.
Das heißt formen.«
»Na bitte.« Lorna nickte Ruth zu. »Wieder etwas dazu gelernt. Jetzt kann ich für heute faulenzen.«
Die Kellnerin brachte den Drink und Kaffee für Ruth.
»Wir haben Sie letzten Monat bei den Campbells auf dem Grillfest vermißt«, bemerkte Lorna, nachdem sie einen Schluck getrunken hatte.
Jim Campbell war Arnies Geschäftspartner und Finanzberater von Lornas Ehemann.
»Ich mußte in die Klinik. Habe ich was versäumt?«
»Nicht viel. Ich muß Sie allerdings warnen, Ruth, diese Wisteria Campbell ist ganz scharf auf Ihren Mann.«
»Was? Das soll wohl ein Witz sein?«
»Im Gegenteil. Sie hat ihre Klauen schon nach ihm ausgestreckt.«
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»Nach Arnie? Aber Lorna, er ist nicht der Typ von Mann, der Frauen gefällt.«
Während Ruth lachte, tauschten Mickey und Lorna einen kurzen Blick. Dann wurde Lorna geschäftlich.
»Ich bin froh, daß ich Sie getroffen habe, Ruth«, sagte sie. »Ich wollte Sie sowieso anrufen. Ich möchte etwas Geschäftliches mit Ihnen besprechen. Um gleich zur Sache zu kommen: Lesen Sie ab und zu mal Dr. Chapmans Spalte?«
»Sie meinen ›Fragen Sie Dr. Paul?‹ Ja, manchmal. Aber er haut oft völlig daneben. Er ist hoffnungslos hinterher.«
»Ich weiß. Das ist uns schon seit einiger Zeit aufgefallen. Er ist alt. Er arbeitet seit Kolumbus’ Landung bei unserer Zeitung. Die alte Redaktionsleitung hat ihn behalten, weil alle ihn mochten. Aber jetzt sind beim
Clarion
große Veränderungen geplant, und wir haben uns überlegt, daß wir für die Spalte einen neuen Mitarbeiter brauchen. Jemand der medizinisch auf dem neuesten Stand ist.«
»Und ich soll Ihnen jemanden empfehlen?«
»Da die meisten Briefe von Frauen kommen, wollten wir eine Ärztin nehmen, und die
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