Herzflimmern
und ich wären jetzt bald neun Jahre verheiratet, wenn ich damals zum Glockenturm gegangen wäre. Aber ich werde nie wissen, was das für ein Leben geworden wäre.
»Sie nimmt es mir übel, daß ich kein Kind mehr will. Ich verstehe nicht, wieso sie unbedingt noch ein Kind haben will, Mickey. Wir haben doch schon fünf. Warum sollen wir das Glück herausfordern? Weißt du«, fügte er leiser hinzu, »daß ich sogar schon an Scheidung gedacht habe? Nicht ernstlich natürlich, aber der Gedanke ist mir durch den Kopf gegangen. So nach dem Motto, was wäre, wenn … Aber ich weiß nicht, ob das die Lösung ist. Ich weiß ja selber überhaupt nicht, was ich eigent {256} lich will. Ich weiß, daß ich meine Kinder, dieses Haus, Ruth und unser gemeinsames Leben will, aber nicht so, wie es jetzt ist.«
»Habt ihr beide mal darüber gesprochen?«
»Gesprochen? Angebrüllt haben wir uns. Ich weiß nicht, Mickey. Ich hab’ das Gefühl, als zählte ich überhaupt nichts, als bedeute ich ihr gar nichts mehr. Sie ist nicht mehr die, die sie war, als ich sie geheiratet habe.«
Mickey mußte sich eine rasche Erwiderung verkneifen. Wann nimmst du endlich die rosarote Brille ab, Arnie? Ruth war immer schon so, wie sie heute ist – rastlos.
»Sie hat dauernd soviel um die Ohren«, fuhr er fort. »Ich dachte, wenn sie ihre eigene Praxis hätte, könnten wir endlich ein normales Leben führen. Aber kaum hatte sie sich selbständig gemacht, nahm sie alle möglichen anderen Projekte an, die Gesprächsgruppe am Freitag, die Schwangerschaftsgymnastik und die privaten Beratungsstunden. Ich habe das Gefühl, immer wenn ein bißchen Freizeit droht, stopft sie sie sofort mit irgend etwas voll. Manchmal kommt’s mir vor, als lüde sie sich so viel auf, damit sie nicht zum Nachdenken kommt. Ich weiß nicht, Mickey …«
Mickey wußte nicht, was sie davon halten sollte. Ruth war genau wie damals, als Mickey ihr vor zwölf Jahren zum erstenmal begegnet war – ehrgeizig, wild entschlossen, in ständigem Wettlauf mit der Zeit. Aber wozu? Zu welchem Zweck und Ziel?
Mickey wandte sich vom Fenster ab, um die Freundin zu betrachten. Ruth war ein bißchen rundlicher geworden und hatte ein paar graue Strähnen im dunkelbraunen Haar. Aber sonst war sie unverändert. Auf dem Flug nach Seattle hatte Mickey sich vorgestellt, Ruths Freunde kennenzulernen; aber von Freunden oder Freundinnen war nie die Rede. Vielleicht, dachte Mickey, hat Ruth überhaupt keine Freunde. Wundern würde es mich nicht; sie hat ja keine freie Minute.
»Wie geht es dir eigentlich, Ruth?« sagte sie. »Wir haben ja noch gar keine Zeit gehabt, richtig miteinander zu reden.«
Ruth schien aus weiter Ferne zurückzukehren.
»Mir geht’s gut. Alles ist bestens. Warum fragst du?«
»Du hast immer soviel zu tun. Ich kann mir nicht vorstellen, wie du das alles schaffst. Wo findest du die Zeit?«
»Ich
nehme
mir die Zeit«, antwortete Ruth, und Mickey fiel ein Gespräch vor langer Zeit ein, als Sondra am ersten oder zweiten Tag auf dem College Ruth gefragt hatte, »Wie hast du die Zeit gefunden, jetzt schon deine Bücher zu besorgen?« Ruth hatte geantwortet: »Ich habe mir die Zeit
genommen
.«
{257}
Wozu das alles, Ruth? Was fehlt in deinem Leben!
Ein anderes Gespräch kam Mickey in den Sinn. Es hatte erst am vergangenen Abend stattgefunden. Sie, Ruth und Arnie saßen mit ihrem Kaffee im Wohnzimmer, als die Mädchen herunterkamen, um gute Nacht zu sagen. Während die anderen sich um Mickey und ihre Mutter scharten, ging die achtjährige Rachel schnurstracks zu Arnie und kletterte auf seinen Schoß.
Ruth murmelte Mickey stirnrunzelnd zu: »Sieh dir das an. Sie rutscht praktisch auf den Knien vor ihm. Warum sind kleine Mädchen nur so unterwürfige Masochistinnen und nehmen alles hin, was Daddy sagt und tut? Ganz gleich, was Arnie auch macht, Rachel läßt nichts auf ihn kommen.«
Mickey sah Ruth überrascht an. »Ich finde, Arnie ist ein guter Vater.«
»Ja, natürlich. Aber eines Tages wird für sie die Ernüchterung schon kommen. Wenn es zu spät ist.«
Mickey hatte keine Gelegenheit gehabt, Ruth um eine nähere Erklärung zu bitten, und sie wußte nicht, ob der Moment jetzt dafür geeignet war. Ihr fiel ein, daß Ruth selber damals, als sie noch auf dem College gewesen waren, Schwierigkeiten mit ihrem Vater gehabt hatte. Hatte sie nicht ihr Studium selber finanzieren müssen, während ihre Brüder vom Vater finanzielle Unterstützung erhalten hatten?
Ruth nahm
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