Herzflimmern
strömen.
»Verdammt«, murmelte sie.
Nachdem sie wieder vom Tisch weggetreten war, nahm Selbie das Skalpell, machte am Haaransatz einen zweiten kleinen Schnitt und führte noch einen Trokar ein.
»Ich will mal was versuchen«, sagte er und nahm eine der langen Pinzetten.
Ruth sah angespannt zu, wie er das Instrument durch die zweite Öffnung gleiten ließ und dann sein Auge wieder auf das Okular drückte.
»Okay, Doris«, sagte er. »Noch etwas Farbe.«
Aufmerksam sah er zu, wie der Farbstoff durch die feinen Fimbrien sickerte, die sanften ›Finger‹, die die Natur geschaffen hatte, das reife Ei in den Eileiter zu befördern. Dann faßte er den linken Eileiter mit der langen Pinzette, rollte ihn ein wenig, um besser sehen zu können, und gab das Signal zur Einleitung von weiterem Farbstoff. Wie auf der rechten Seite sickerte der Farbstoff heraus und spülte über den weißen Eileiter unter den Fimbrien hinweg. Nur –
Es war gar nicht so.
Selbie hob den Kopf, zwinkerte einmal kurz, um wieder klaren Blick zu bekommen, und sagte stirnrunzelnd: »Noch mal, Doris«, ehe er sich wieder über das Okular neigte.
Es gab keinen Zweifel mehr. Der Farbstoff verfehlte den Eileiter.
»Ruth, kommen Sie. Sehen Sie sich das an.«
Das Auge auf dem Okular, während Selbie die Pinzette hielt, sah Ruth das gleiche, was Selbie gesehen hatte: eine winzige Öffnung zwischen Eileiter und Eierstock, so mikroskopisch klein, daß man sie ohne die Manipulation des Eileiters nicht hätte sehen können.
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»Was meinen Sie? Eine Narbe?«
»Oder eine kleine Deformierung.«
Ruth war plötzlich sehr erregt. Es war eine Chance!
Mickey hatte bereits vor Beginn der Untersuchung ihre schriftliche Einwilligung zu einem Eingriff gegeben, falls ein solcher sich als notwendig erweisen würde. Das Team vergeudete keine Zeit. Es wurde alles für eine Operation vorbereitet.
Acht Minuten später machte Selbie einen Pfannenstiel-Schnitt, Ruth assistierte.
Am Ende des Eileiters fanden sie eine winzige Deformierung, beinahe zu klein, um sie mit bloßem Auge zu erkennen, aber im Verhältnis zur mikroskopisch kleinen Eizelle groß genug, um Sterilität zu verursachen.
Da zwischen Eierstock und Eileiter keine Verbindung besteht, schwimmt beim normalen Eisprung das reife Ei kurze Zeit frei, ehe die Fimbrien des Eileiters durch Kontraktionen, die durch Hormone ausgelöst werden, eine Strömung schaffen, die die Eizelle in die Trichteröffnung des Eileiters zieht. Von dort aus wandert es weiter und wird dann entweder von einem Spermium befruchtet oder zerfällt und wird mit der Menstruation ausgeschwemmt.
An Mickeys linkem Eileiter jedoch waren entweder infolge einer leichten Entzündung in frühen Jahren oder einer Endometriose die Fimbrien miteinander verfranst. Anstatt sich der Eizelle entgegenzustrecken und sie in den Eileiter zu ziehen, wirkten sie als Sperre. Eine kleine Öffnung hinter den Fimbrien, die wahrscheinlich bei der Vernarbung entstanden war, diente dem Farbstoff als Auslauf, so daß es bei den üblichen Diagnosetests den Anschein hatte, als arbeite der Eileiter normal.
Ruth war zutiefst erleichtert. Während Joe Selbie mit einem feinen Instrument die Fimbrien entwirrte und die winzige Nebenöffnung vernähte, konnte Ruth Mickeys Erwachen aus der Narkose kaum erwarten.
»Ich vermute, Mickey, daß bei dir der Eisprung meistens auf der linken Seite stattfindet. Möglicherweise auch nur links. Das kommt vor.«
Sie machten einen gemächlichen Spaziergang durch den Wald hinter dem Haus der Roths. Die Erde unter ihren Füßen war frosthart, der Wind war kalt auf ihren Gesichtern.
»Sämtlichen Tests zufolge hattest du einen normalen Eisprung. Das war auch richtig. Aber immer auf der blockierten Seite. Die Eizelle gelangte nie in den Eileiter.«
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Ruths Atem kam in kleinen Stößen, während sie sprach. Mickey beobachtete die Wölkchen, die in die Luft stiegen. In Hawaii sah man so etwas nie. In letzter Zeit fielen ihr solche Dinge auf. Alles nahm sie jetzt viel bewußter wahr: das rauhe Gewebe ihres Mantels, das Glucksen des Baches am Ende von Ruths Grundstück, den Zimtgeruch des Apfelkuchens, den Beth vorhin aus dem Rohr geholt hatte.
Morgen würde sie nach Hause fliegen. Um zu verhindern, daß der frisch genähte Eileiter sich bei der Vernarbung schloß, hatte Joe Selbie einen winzigen Silikonpfropfen in der Öffnung gelassen, um den herum, der Eileiter wachsen würde; in einem Monat würde sie wiederkommen und den
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