Herzflimmern
extensive Verletzungen erlitten. Ich weiß nicht, ob mein Können da ausreicht.«
In ihrem Brief hatte Sondra geschrieben: ›Ich bitte
Dich
, Mickey, weil ich an Dich glaube. Aber wenn Du aus irgendeinem Grund nicht kannst, dann gehe ich nach Arizona. Meine Eltern wissen noch nichts. Ich will es ihnen erst sagen, wenn alles vorbei ist. Warum sie auch noch belasten, wo Roddy schon so schrecklich leidet.‹
Die Fotografie zeigte zwei von Narben entstellte, verkrüppelte Klauen auf weißem Hintergrund. Grauenvolle Hände, wie man sie vielleicht in einem Alptraum sieht.
›Links besteht infolge eines dicken Narbenwulsts auf dem Handrücken eine schwere Kontraktur mit Verlust der Streckmuskelsehnen des zweiten und dritten Fingers. Rechts bestehen Kontrakturen aller Finger durch Vernarbung. Infolge überlanger Ruhigstellung nach ersten Hautverpflanzungen ist eine Verkürzung der Bänder eingetreten. Beide Hände sind völlig unbrauchbar.‹
Bei einem Brand vor sechs Monaten, hatte Sondra geschrieben, hatte sie {291} schwere Verbrennungen an beiden Händen erlitten. Nachdem man sie in der Notaufnahme des Krankenhauses von Voi behandelt hatte, war sie in ein größeres Krankenhaus in Nairobi verlegt worden, wo man die Infektion unter Kontrolle gebracht und eine Hautverpflanzung versucht hatte. Nach dem Foto zu urteilen, waren die Operationen nicht so erfolgreich gewesen, wie man es sich erhofft hatte.
Mickey starrte zum Wagenfenster hinaus. Nachtschwarz dehnte sich die Wüste zu beiden Seiten der Straße. Palmen und Kakteen hoben sich schemenhaft hervor, und weit weg, am Ende der flachen Öde ragten die zackigen Berge wie eine Mondlandschaft auf. Als der zweite Satz der Symphonie sich seinem Ende näherte, schloß Mickey wieder die Augen und kehrte zu Sondras Brief zurück.
›Mein Geld reicht für den Flug nach Kalifornien und zurück‹, hatte Sondra geschrieben. ›Pastor Sanders bringt mich nach Nairobi an den Flughafen und wird dafür sorgen, daß man mir auf dem Flug behilflich ist, soweit das nötig ist. Aber wenn ich bei Euch ankomme, brauche ich jemanden, darum meine Bitte: Kannst du mich am Flughafen abholen? Roddy bleibt hier auf der Station.‹
Ein karger Brief, der sich so las, wie Sondra ihn vermutlich diktiert hatte – direkt und ohne Beschönigungen.
›Sie haben hier in Nairobi sicher ihr Bestes getan. Ich kann ihnen nichts vorwerfen. Ich würde auch gar nichts weiter unternehmen, wenn ich nicht eine ständige Bürde für andere wäre. Ich kann mir nicht einmal allein das Haar kämmem; ich kann keine Tasse halten; ich kann meinen Sohn nicht streicheln. In Nairobi sagte man mir, es wäre hoffnungslos, meine Hände seien nicht zu retten. Jede Kleinigkeit wäre ein Hilfe, Mickey, und ich wäre Dir ewig dankbar, wenn Du für mich etwas tun könntest.‹
Sondra. Wie lange war es her? Das letztemal hatten sie sich vor sieben Jahren bei der Hochzeit auf Lanai gesehen. Ein herrliches, wenn auch kurzes Wiedersehen voller Erinnerungen. Ein paar Tage lang war die innige Verbundenheit der drei jungen Mädchen wieder dagewesen, die am Castillo College zusammen ihr Studium aufgenommen und vier Jahre zusammen gelebt hatten. Dann war wieder jede ihren eigenen Weg gegangen; die Bande hatten sich immer mehr gelockert, Zeit und Ereignisse hatten sich wie Keile zwischen die drei Frauen geschoben und sie immer weiter voneinander entfernt. Die Briefe und Telefonate, so häufig in den ersten Jahren der Trennung, waren immer seltener geworden, so daß jetzt nur noch eine schöne Erinnerung übrig war.
Das war es, was der Brief bei Mickey bewirkt hatte: Er hatte sie mit einem {292} Teil ihrer Geschichte konfrontiert, die sie vernachlässigt und mißachtet hatte: die erste wahrhaftige Freundschaft mit zwei anderen Menschen; den Beginn des langen Wegs, der sie dahin geführt hatte, wo sie jetzt stand. Er hatte Mickey an längst vergangene Dinge erinnert, die sie beinahe aus dem Gedächtnis verloren hatte.
Aber nicht ganz, dachte sie jetzt. Ich war in diesen letzten drei Jahren zu sehr in mein Leben versponnen und alle die Aktivitäten, die es ausfüllen. Ich hatte vergessen …
»Ich schreibe ihr sofort«, sagte sie zu Harrison, der jetzt vom Freeway abbog. »Ich schreibe ihr, daß sie jederzeit kommen und bei uns wohnen kann. Das ist dir doch recht, Harrison?«
»Aber natürlich.«
»Und ich glaube, ich schreibe auch gleich einen Brief an Ruth. Ich habe seit Ewigkeiten nichts von ihr gehört. Vielleicht kann sie
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