Herzflimmern
Grund in Mittelmäßigkeit und Selbstzufriedenheit versunken. Er hatte jetzt eine gutgehende Praxis im San Fernando Valley, wo er auf Versicherungskosten Nasen schönte.
Ein leichtes Klopfen an der Tür sagte ihr, daß die ersten Patientinnen da waren. »Ich habe Mr. Randolph in Eins geschickt, Mickey«, sagte Dorothy von der anderen Seite der Tür. »Und Mrs. Witherspoon in Zwei.«
»Danke, Dorothy. Ich komme sofort.«
Als sie in ihr Sprechzimmer ging, bemerkte sie den Stapel Post, den Dorothy ihr hingelegt hatte; sie würde ihn nach der Sprechstunde durchsehen.
{289}
Genau das brauchte sie jetzt – Rasen auf dem Indio Freeway! In solchen Momenten wünschte Mickey, sie hätten ein Kabriolett. Sie hätte ihr Haar aufgemacht, den Kopf zurückgeworfen und die Mächte dort oben herausgefordert. Und sie hätte die Geschwindigkeit richtig gespürt. Statt dessen drückte sie auf einen Knopf, um das Fenster herunterzulassen, so daß die duftende Nachtluft herein konnte; drückte einen Knopf, um den Kassettenrecorder einzuschalten, drückte eine weiteren Knopf, um die Kassette zurückzuspulen und drückte einen letzten Knopf, um ihre Sitzlehne leicht nach hinten zu kippen. Bei den ersten Takten von Beethovens Siebter Symphonie schloß Mickey die Augen und überließ sich der Musik und ihren Gedanken.
Was hatte der Brief eigentlich mit ihr angestellt? Sie wußte es selber nicht. Sie hätte in diesem Moment glücklich sein müssen; sie hatte fest damit gerechnet, daß sie glücklich sein würde. Aber sie war es nicht. Seit Monaten hatten sie diesen Ausflug geplant – ein Wochenende in der Wüste, eine luxuriöse Suite im
Erawan Gardens
Hotel, Abendessen bei
Fideglio’s
, eine romantische Fahrt in die San Jacinto Berge und zum Abschluß die große Weihnachtsparty im Racquet Club. Keine Patienten, kein Telefon. Allein mit Harrison, mit dem sie nach sieben Jahren Ehe so glücklich war wie am ersten Tag. In ungeduldiger Erwartung hatte Mickey nach Schluß ihrer Sprechstunde letzte Anweisungen diktiert, den Schreibtisch aufgeräumt, um die Praxis in der Obhut ihre Partners Dr. Tom Schreiber zu hinterlassen.
Im letzten Moment hatte sie noch schnell die Post auf ihrem Schreibtisch durchgesehen – größtenteils Dankbriefe von Patienten, ein paar Einladungen, ein paar Rechnungen – und war auf das dünne blaue Luftpostkuvert mit den kenianischen Briefmarken gestoßen.
Sondra, hatte sie gedacht. Ich habe seit Weihnachten letztes Jahr nicht mehr von ihr gehört.
Aber nein, der Brief kam nicht von Sondra. Die Anschrift war mit fremder Hand geschrieben, und als Absender war Pastor Sanders angegeben.
Lange stand Mickey mit dem Brief in der Hand da, starrte auf die fremde Schrift und wagte nicht, den Umschlag zu öffnen. Sie konnte unter ihren Fingerspitzen beinahe die unerwünschte Nachricht spüren, die er enthielt. Sie spielte flüchtig mit dem Gedanken, ihn bis zum Montag liegenzulassen, aber sie schaffte es nicht. Als sie den Umschlag aufriß, fielen ihr zwei Schreiben entgegen.
Das erste war von Pastor Sanders unterschrieben und bestand nur aus wenigen Zeilen.
{290}
›Liebe Frau Dr. Long: Da Mrs. Farrar selber nicht schreiben kann, hat sie mir den beiliegenden Brief diktiert. Wir haben kein Telefon; sollten Sie uns erreichen wollen, so rufen Sie bitte beim Krankenhaus in Voi unter Voi-7 an. Von dort aus wird man uns Ihre Nachricht über Funk durchgeben.‹
Als Mickey den zweiten Brief entfaltete, der um einiges länger war, als der erste, sah sie, daß unten eine Fotografie aufgeklebt war …
»Mickey?« Harrison legte leicht seine Hand auf die ihre. »Wo bist du mit deinen Gedanken?«
Mickey öffnete die Augen und sah ihn lächelnd an. Das Leben in SüdKalifornien tat Harrison sichtlich gut. Er war jetzt achtundsechzig, aber er war so gesund und vital wie eh’ und je. Es war eine gute Entscheidung gewesen, hierher zu übersiedeln, obwohl Mickey zuerst Einwände erhoben hatte, jetzt war sie froh, daß sie nachgegeben hatte. Neue Freunde, neue Interessen – da blieb keine Zeit, dem unerfüllten Traum von einem Kind nachzutrauern.
»Ich habe gerade an Sondra gedacht«, sagte sie.
Er nickte verständnisvoll. Mickey hatte ihm das Foto gezeigt.
»Weiß du schon, was du tun willst?«
»Ich glaube, daß Sam Penrod Sonntagabend auf die Weihnachtsparty kommt. Er ist einer der besten Spezialisten überhaupt. Ich werde ihn fragen, ob er sie nimmt.«
»Du willst es nicht selber machen?«
»Nein. Sie hat
Weitere Kostenlose Bücher