Herzflimmern
hinwiesen, die Messungen von Puls und Blutdruck auswerten. Dann hatten sich die Gruppen getrennt, jede war auf eine andere Station gekommen.
Am vergangenen Tag hatte Ruths Gruppe an der Visite in der gynäkologischen Abteilung teilgenommen, und Dr. Mandell hatte ihnen eine Beckenuntersuchung vorgeführt. Er hatte die Studenten um das hinterste Bett in einem der Krankenzimmer versammelt, wo eine nette Frau lag, der es nichts auszumachen schien, sich von zwölf Studenten anstarren zu lassen. Mandell hatte den Vorhang rund um das Bett geschlossen und verkündet, daß er jetzt zeigen würde, wie eine Beckenuntersuchung vorgenommen wurde. Die Frau hatte das hingenommen, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken.
»Sie ist keine echte Patientin«, hatte Mandell vor der Visite erklärt. »Sie ist eine Prostituierte, die sich dem Krankenhaus gegen Entgelt zur Demonstration zur Verfügung gestellt hat. Eine richtige Patientin würde sich viel zu sehr verkrampfen. Da könnten Sie nichts lernen.«
Ruth hatte den Tag auf der gynäkologischen Station interessant gefunden und hatte das Gefühl, eine Menge gelernt zu haben. Doch in der Entbindungsabteilung gefiel es ihr überhaupt nicht.
Hier wurden jeweils nur zwei Studenten zugelassen; jedes Paar blieb drei Tage, während der Rest der Gruppe, die anderen Stationen durchwanderte. An diesem Morgen hatte Dr. Mandell Ruth und Mark Wheeler auf die Station mitgenommen, ihnen die Garderobe gezeigt, wo sie sich umziehen konnten, und sie dann im Schwesternzimmer erwartet.
Man ignorierte Dr. Mandell und seine beiden Schützlinge. Es war ein Tag, an dem besonders viel los war. In einem der Entbindungsräume waren, wie Ruth sah, als sie durch das kleine Fenster in der Tür schaute, drei Ärzte und zwei Schwestern mit einer schwierigen Geburt beschäftigt. Im nächsten Zimmer war eine einsame, gehetzt wirkende Schwester dabei, die Vorbereitungen für einen Kaiserschnitt zu treffen.
Ruth war überrascht, wie sehr die Entbindungsstation der chirurgischen {65} ähnelte, wo sie in der Woche zuvor gewesen war. Eine Geburt war für sie immer ein natürlicher Vorgang gewesen, der mit Chirurgie nichts zu tun hatte. Der Lärm in der Abteilung war ohrenbetäubend. Durch die dicke Tür drangen die Schreie der Gebärenden und die lauten Ermunterungen der Geburtshelfer. »Jetzt pressen Sie!« Dann wieder: »Nicht pressen!« Das Piepen mehrerer Herzmonitoren war zu hören, die beiden Sterilisierapparate zischten und klapperten. Irgendwo schrillte ein Telefon, das keiner beachtete. Aus einem Warteraum kamen die Stimmen zweier laut diskutierender Männer. Und um allem die Krone aufzusetzen, zerriß plötzlich noch ein markerschütternder Schrei die Luft, bei dem die beiden Studenten erschrocken zusammenfuhren.
»Daran erkennt man den Kreißsaal«, bemerkte Dr. Mandell. »Man braucht nur dem Geschrei zu folgen.«
Ruth begleitete Dr. Mandell in den Saal, Mark Wheeler jedoch, leichenblaß im Gesicht, blieb zurück. Nur eines der vier Betten war belegt, und als Ruth die Patientin sah, war sie sprachlos.
Sie war noch ein Kind.
»Also, sehen wir uns mal ihre Karte an.«
Es war eine gelbe Karte; das bedeutete, daß das junge Ding eine Fürsorgepatientin war, also zu jener Gruppe gehörte, an denen Studenten und Assistenzärzte sich üben durften. Die Patienten mit rosafarbenen Karten waren absolut tabu, das wußte Ruth. Sie waren Privatpatienten, die ihre eigenen Ärzte hatten.
Ruth sah das kindhafte Mädchen im Bett lächelnd an, doch das schmale, weiße Gesicht mit den großen braunen Augen blieb ernst. Feucht hing dem Mädchen das blonde Haar ins Gesicht, ihre Lippen waren fahl, das Krankenhausnachthemd war feucht von Schweiß. Das Mädchen musterte die beiden Ärzte mißtrauisch, aber ohne Neugier; da sie ein Fürsorgefall war, waren zweifellos schon viele Männer und Frauen in weißen Kitteln oder grünen Mänteln bei ihr gewesen, und die meisten hatten sich wahrscheinlich nicht die Mühe gemacht, sich vorzustellen.
Ruth zwang sich, ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Karte zu richten.
»Die Cervix ist auf fünf Zentimeter erweitert«, sagte Dr. Mandell. »Da die volle Erweiterung zehn Zentimeter beträgt, können wir sagen, daß Lenore es zur Hälfte geschafft hat.« Er klappte die Karte zusammen und hängte sie wieder am Fußende des Bettes auf. »Na, hier brauchen wir weiter keine Zeit zu verlieren. Kommen Sie, dann können Sie bei dem Kaiserschnitt zusehen.«
Beim Hinausgehen drehte Ruth sich
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