Herzflimmern
er endlich. »Ich wollte wirklich nicht aufdringlich sein. Aber ich wollte Sie eben gern kennenlernen und hielt es für das Beste, direkt zu sein.«
Sie hob den Blick und sah sein entschuldigendes Lächeln.
»Es ist meine Schuld«, sagte sie mit kleiner Stimme. »Ich bin es nicht gewohnt, daß man so auf mich zukommt.«
»Das kann ich nicht glauben. Eine schöne Frau wie Sie.«
Mickey senkte wieder die Lider.
»Also, soll ich Ihnen nicht doch etwas holen?«
»Ja, ich hätte gern ein Cola. Ich hab vorhin mal versucht, mich zur Bar durchzuschlagen, aber ich hab’s nicht geschafft.«
Er lachte. »Kein Wunder, bei dem Gedränge. Wie heißen Sie eigentlich?«
»Mickey.«
»Mickey? Das ist ein ungewöhnlicher Name. Ist es eine Abkürzung?«
»Nein. Ich heiße einfach Mickey.«
»Und warum haben Sie sich gerade für das Medizinstudium entschieden, Mickey?« Chris Novack öffnete die Tür zum Saal und schob leicht seine Hand unter Mickeys Ellbogen.
»Das hat mit meinem Vater zu tun«, antwortete Mickey. »Er starb an einer unheilbaren Krankheit, als ich noch ein Kind war.« Es war die Lüge, die sie allen auftischte.
»Haben Sie vor, sich zu spezialisieren?«
»Ich möchte eigentlich am liebsten in die Forschung. Ich arbeite gern im Labor.«
Als sie tiefer ins Gewühl gerieten, faßte Chris Novack ihren Arm fester, als hätte er Sorge, sie könne ihm verlorengehen. Es kostete einen kurzen Kampf, ehe sie zwei Flaschen Cola ergatterten. Dann sah Chris Novack sich stirnrunzelnd um.
»Hier gibt’s ja wirklich nirgends ein stilles Fleckchen. Was meinen Sie, wollen wir’s draußen versuchen?«
{63}
Sie kämpften sich zur großen Tür durch, Chris Novack die beiden Flaschen hoch über dem Kopf haltend, dann standen sie endlich draußen in der kühlen Nachtluft.
»Wer weiß«, meinte Chris Novack, das begonnene Gespräch fortsetzend, »vielleicht überlegen Sie es sich in den kommenden Jahren noch anders. Wenn Sie im dritten Jahr auf den verschiedenen Stationen im Krankenhaus arbeiten, werden Sie sicher immer wieder schwankend werden. In der Pädiatrie werden sie Kinderärztin werden wollen. In der Pathologie werden Sie feststellen, daß sie Pathologin werden wollen und so weiter. Das geht allen so.«
Mickey beobachtete sein Profil, während er sprach. Sie saßen unter einer dickstämmigen Eiche, wo sie Musik und Gelächter aus dem Saal nur gedämpft hörten. Chris Novack hob die Colaflasche zum Mund und nahm einen tiefen Zug. Dann sah er Mickey an und sagte: »Ich würde gern mit Ihnen über Ihr Gesicht sprechen.«
Die Flasche rutschte Mickey aus der Hand und schlug klirrend zu Boden. Glas splitterte, Mickey spürte, wie sich die Flüssigkeit über ihre Füße ergoß.
»Oh!« rief Chris und sprang auf. »Ach, das tut mir wirklich leid.« Mickey stand zitternd auf. »Ich wußte nicht …« Sie drückte ihre Hand auf die Wange.
»Es tut mir wirklich leid«, sagte er wieder, und als Mickey sich abwandte und weglaufen wollte, legte er ihr hastig die Hand auf den Arm. »Bitte, warten Sie! Nur einen Moment. Ich weiß, wie schwer es für Sie ist, darüber zu sprechen, aber –«
»Ich muß gehen«, sagte sie erstickt.
Gerade als Mickey loslaufen wollte und Chris sie fester faßte, um sie zurückzuhalten, begannen die Glocken im Glockenturm zu läuten. Während die Leute ringsrum ausgelassen »Prost Neujahr!« riefen und mit Gläsern und Flaschen anstießen, drehte Chris Novack Mickey herum, so daß er ihr ins Gesicht sehen konnte, und sagte laut und deutlich: »Ich bin Arzt, Mickey, Chirurg. Ich wollte mit Ihnen sprechen, weil ich glaube, daß ich Ihr Gesicht in Ordnung bringen kann.«
8
Ruth war gerade eine Stunde auf der Entbindungsstation, aber es reichte ihr schon. Sie fand es fürchterlich und wollte nur noch weg.
Es war Februar, und sie befanden sich in der zweiten Woche des Kurz {64} praktikums. Der Kurs hatte einen guten Anfang genommen; die Studenten hatten zunächst sämtliche Stationen besichtigt, waren mit der Struktur des Krankenhauses und der Personalhierarchie vertraut gemacht worden und hatten zum Abschluß eine gründliche Lektion im Umgang mit Stethoskop, Blutdruckmeßapparat, Augenspiegel und Reflexhammer erhalten. Die ganze Schar war in mehrere Gruppen aufgeteilt worden, jeder Student hatte einen Satz Untersuchungsinstrumente erhalten, und dann hatten sie an ihren Kommilitonen geübt. Sie lernten die Herztöne abhören, Herzgeräusche ausmachen, die auf eine Erkrankung der Herzklappen
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