Herzflimmern
zu schaffen, aber das hinderte Mickey nicht daran, ihr Bestes zu tun. Sie war gern auf der chirurgischen Station. Sie fühlte sich ungleich wohler als in ihrem Assistenzjahr, das so strapaziös und unmenschlich gewesen war, daß sie die Erinnerung daran am liebsten ganz aus ihrem Gedächtnis gestrichen hätte. Erst seit sie als Stationsärz {152} tin in der chirurgischen Abteilung arbeitete, fühlte sie sich wirklich befriedigt und anerkannt.
Auf dem Weg zur Notaufnahme verschlang sie hastig einen Apfel. Sie hatte das Frühstück versäumt, in einer Stunde fingen die Operationen an, da würde sie vor dem Nachmittag kaum mehr eine freie Minute haben. Der Dienst auf der Chirurgie verlangte ungeheure Kraft und Durchhaltevermögen. Erst am Vortag beispielsweise hatte sie bei einer Magenresektion, die Dr. Brock durchgeführt und bei der sie nichts anderes zu tun gehabt hatte, als die Retraktoren zu halten, fünf Stunden lang ununterbrochen gestanden, die Hände steif und verkrampft, die Füße schwer wie Blei, in den Beinen Schmerzen, die sich bis zum Kreuz hinaufzogen. Sie hatte nicht gewagt, sich zu bewegen. Brock mußte beim Nähen Präzisionsarbeit leisten und brauchte allen Freiraum, den Mickey ihm geben konnte. Hätte sie die großen Wundhaken lockergelassen, so hätten dem Operateur wegen mangelnder Sicht Fehler unterlaufen können. Sie spürte die ersten Anzeichen heftiger Kopfschmerzen, als Dr. Brock endlich sagte, »okay, wir machen jetzt zu«. Mickey mußte sich am Operationstisch festhalten, um nicht auf der Stelle zusammenzuklappen. Sie wußte, daß einige ihrer Kollegen die Fähigkeit entwickelt hatten, zu schlafen, während sie die Wundhaken hielten; sie klemmten sich in die Ecke zwischen Operationstisch und Narkoseschirm und schlossen ein paar Minuten lang die Augen. Wie sie es fertigbrachten, daß ihre Finger während dieser kurzen Entspannungspause nicht erschlafften, war Mickey schleierhaft.
»Daß Ihnen das auch noch Spaß macht!« hatte Toby, einer der Assistenzärzte erst neulich zu ihr gesagt. »Ich könnte das nie!«
Aber Mickey konnte sich gar nicht vorstellen, in einem anderen Fachbereich zu arbeiten.
»Hallo, Sharla«, sagte sie, als sie in die Notaufnahme kam. »Wo ist der Unterleib?«
Sharla wies mit dem Kopf zu einem Raum links. »Auf drei, Mickey. Die arme Frau hat starke Schmerzen.«
Anfangs hatte Mickey es merkwürdig gefunden, von den Schwestern beim Vornamen angesprochen zu werden. Sie nannten alle Ärztinnen bei ihren Vornamen; bei den Männern hätten sie sich das nicht einfallen lassen. Mickey hatte es für ein Zeichen unbewußter Verachtung oder Eifersucht gehalten; eine Reaktion von Frauen auf Frauen, die ihnen übergeordnet waren. Aber sie hatte bald erkannt, daß es vielmehr ein Zeichen weiblicher Solidarität war, einer Verbundenheit, mit der sich die Frauen in dieser von Männern beherrschten Welt abgrenzten.
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Eric, der Assistenzarzt, stand vor Zimmer drei und rauchte eine Zigarette.
»Machen Sie die aus«, sagte Mickey im Vorbeigehen, ehe sie in den Untersuchungsraum trat. Sie mochte Eric Jones nicht. Er war ihr zu dreist und aufgeblasen. Wenn er einmal seine eigene Praxis habe, hatte er kürzlich erklärt, würde er nicht mehr als vier Tage in der Woche arbeiten und sich strikt an die üblichen Stunden von neun bis fünf halten.
Im St. Catherine’s hatte Mickey für ihre Vorgespräche oft bis zu zwei Stunden gebraucht. Den Medizinstudenten war immer wieder eingebleut worden, daß Gründlichkeit das erste Gebot war. Die Methode, nach der diese Vorgespräche geführt wurden, war immer die gleiche: Man begann mit der ›Hauptbeschwerde‹ und ließ sie sich nach Erscheinungsform und Geschichte eingehend erläutern. Dann folgte eine Geschichte aller Krankheiten, die der Patient vom Tag seiner Geburt an durchgemacht hatte, und danach erkundigte man sich nach Krankheiten der Eltern, Geschwister und Großeltern. Als nächstes ging man die Funktion sämtlicher Körperorgane durch – Herz, Lunge, Niere usw. – und zum Schluß kam dann die eigentliche Untersuchung.
Mickey hatte in ihrem Assistenzjahr bald gelernt, all dies innerhalb von Minuten abzuhandeln. Da Eric bereits die Vorarbeit geleistet hatte, brauchte sie sich jetzt nur noch das Krankenblatt anzusehen, ehe sie mit der Untersuchung begann.
Mrs. Mortimer war zwei Stunden zuvor von ihrem Ehemann, der jetzt mit käseweißem Gesicht im Korridor auf und ab ging, in die Notaufnahme gebracht worden. Sie lag
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