Herzgefaengnis
weiß nicht, ob ich das an seiner Stelle gemacht hätte.“
„Papa! Ich habe meinen Führerschein jetzt acht Jahre! Wo ist eigentlich Max? Sollte er nicht schon gestern kommen?“
„Hier bin ich.“ Max kam die Treppe herunter. Mein Bruder sah etwas übernächtigt aus. Sein dunkelblondes Haar war ein wenig zerzaust, aber das konnte auch eine modische Variante der Sturmfrisur sein. Sein langer, trotz seiner 21 Jahre immer noch etwas schlaksiger Körper steckte in einer schmalen Jeans und einem engen schwarzen T-Shirt mit langen Ärmeln.
„Hi, Schwesterherz.“ Er drückte mich, und ich musste mich auf die Zehenspitzen stellen, um ihm einen Kuss auf die Wange zu hauchen.
Er hielt mich ein Stück von sich ab. „Gut siehst du aus. Hast du endlich mal ausgeschlafen?“
„Danke für die Blumen – und ja. Aber du nicht, oder?“ Max gähnte. „Nö. Ich war feiern mit ein paar alten Kumpels. So bis fünf.“ Typisch. Max war also mal wieder solo.
„Du brauchst eine Freundin“, bemerkte ich. „Dann lebst du etwas solider.“
Max lachte. „So solide kann ich gar nicht werden, dass ich zu feiern aufhöre. Ob mit oder ohne. Und was macht dein Liebesleben so, Schwesterchen?“
„Sie hat einen Freund“, ließ sich mein Vater von hinten vernehmen.
„Ach was! Und wo ist der gerade?“
„Nicht hier.“
„Loser.“ Max grinste. „Zu feige, ihn der Familie zu zeigen?“
Ich boxte ihn auf den Arm.
Aus der Küche drangen köstliche Düfte nach Lammbraten und Knoblauch. Ich freute mich auf unser Familienessen, auch wenn ich schon jetzt Sehnsucht nach Leo hatte. Wie sollte das nur werden, wenn er wieder zur Arbeit musste und ich fürs Examen lernte? Egal. Ich verdrängte den kleinen Schmerz so gut es ging. Und unterhielt mich prächtig.
Beim Dessert diskutierten wir angeregt, und Max und ich einigten uns, welche Veranstaltungen, Konzerte und Clubs wir nicht verpassen wollten. Als wir die Küche aufräumten, musste ich erzählen, wo ich Leo begegnet war, und mein Vater meinte trocken: „Na, dann ist dieser komische Kneipen-Job wenigstens zu irgendetwas gut gewesen. Du strahlst ja aus allen Knopflöchern.“
„Ach Papa, Mensch.“ Wir lachten.
Beim Abschied beschwor mich meine Mutter noch einmal, Leo unbedingt beim nächsten Mal mitzubringen. „Wer dich so zum Strahlen bringt, muss ein besonderer Mensch sein.“
„Das ist er.“ Ich konnte es schließlich nicht bestreiten.
„Na dann noch einen schönen Rest-Abend.“ Meine Mutter küsste mich auf die Wange. „Und wenn er wirklich so ist, wie ich denke, dann wird er uns mögen.“
Sie hatte noch nie etwas dazu gesagt, dass ich ihnen nur selten Männer vorstellte. Kein Vorwurf, ob ich mich meiner Eltern schämen würde. Oder ob es mir etwa peinlich sei, in wen ich mich da verliebt hätte. Sie hatte alles verstanden, ohne dass ich es ihr groß erklären musste. Für sie war es normal, dass man nicht immer „was Richtiges“ kennenlernte. Und jetzt verlangte sie so dringend danach, nur weil ich in ihren Augen anders war als sonst. Mütter haben irgendwie ein feines Gespür.
Im Ruderclub wurde ich von den noch verbliebenen Mitgliedern ekstatisch begrüßt. Sie saßen an einer langen Tafel in dem Raum, wo gestern das Buffet gestanden hatte. Sie jubelten und winkten mir zu. Ich erkannte Ludwig Fuchs sowie einige aus Leos Herrenachter wieder. Andere schienen wiederum deutlich jünger. Der Typ, den Johannes gestern aus der Tür gestoßen hatte, fehlte zu meiner Erleichterung.
Alle waren unverkennbar angeheitert. Leo war auf den ersten Blick nichts anzumerken, als er auf mich zu kam. Bei seinem Anblick schlug mein Herz höher. Wie viele Stunden war es her, dass ich in den Genuss seiner Lachfältchen, seiner Goldpünktchen und seines süßen Grübchens gekommen war – und wie viele würde ich am Stück ohne ihn aushalten? Sein Blick war nur ganz leicht verschwommen, als er mich zur Begrüßung küsste.
„Setz dich doch noch ganz kurz.“ Auch seine Stimme hatte er in der Gewalt. „Rück´ mal ein Stück, Daniel.“
Ich musste auf die Bank einer Bierzeltgarnitur klettern und zwischen Leo und besagtem Daniel Platz nehmen, der mich ungeniert musterte. Er trug ein Hemd, das an den muskulösen Oberarmen etwas spannte. Und einen Dreitagebart. „Du durftest tatssächlich … Leoss Auto ffahren?“, nuschelte er schon ein wenig undeutlich.
„Ja, dafür muss man nüchtern sein.“ Beifallsgelächter von der anderen Seite des Tisches.
„Mein Lieber,
Weitere Kostenlose Bücher