Herzgespinst - Thriller
Hause zu radeln. Dann setzte er sich in seinem Zimmer die Kopfhörer auf, hörte laut seine Lieblingsmusik und sah einfach nur aus dem Fenster hinaus in den Morgen.
Heute war er allerdings so hundemüde, dass er sich einen Moment lang nicht einmal mehr erinnern konnte, wo er sein Fahrrad abgestellt hatte. Lustlos strampelte er los. Er musste sich eingestehen, dass er gerne mit Tom getauscht und in seinen Firebird eingestiegen wäre.
Obwohl er den ganzen Nachmittag verschlafen hatte, spürte er die Müdigkeit in jeder einzelnen Faser seines Körpers. Vielleicht lag es daran, dass dieser Tag sich so anders angefühlt hatte als sein Leben zuvor.
Neu, unbestimmt, und vor allem total aufregend.
Selbst die Gedanken an die Schule fand er nicht so nervenaufreibend wie sonst. In zwei Wochen waren ohnehin Sommerferien. Und danach konnte er sich immer noch entscheiden, ob er seinen Abschluss wirklich machen wollte. Schließlich war Musikmachen sein Traumberuf, dafür brauchte er keinen Mathematik-Leistungskurs.
Wenn er sonst hinter der Bar schuftete, redete er nicht viel. Die Arbeit war so am besten auszuhalten. Heute war überraschend Lotte aus seiner Klasse aufgetaucht.
Er hatte sie noch nie zuvor in der Roten Sonne gesehen. Bis jetzt hatte er sie für ein überspanntes Pferdemädchen gehalten. Julia war nach dem Unfall kurz mit ihr befreundet gewesen, weil der Schulpsychologe das vorgeschlagen hatte, aber die beiden hatten überhaupt nicht zueinander gepasst. Alles in Lottes Leben hatte sich damals um Pferdebücher und Reitturniere gedreht, während Julia gerade um ihren toten Vater trauerte.
Aber plötzlich fand er Lotte ziemlich nett. Das hatte ihn selbst am meisten überrascht. Sie war den ganzen Abend bei ihm an der Bar stehen geblieben und hatte ihn trotzdem nicht bei seinem Job gestört. Im Gegenteil. Er hatte sogar Spaß mit ihr gehabt. Ihren Pferdetick hatte sie offenbar abgelegt und auch Tanzen war nicht ihr Ding. Aber dafür interessierte sie sich für Musik, seine Musik!
Oliver war nicht sicher, ob er sich das einbildete: aber Lotte schien ihn sogar ein wenig anzuhimmeln, nachdem sie ihn bei den Proben singen gehört hatte. Es war aber nicht nur so eine alberne Schmeichelei wie die von Meerie gewesen.
Im Gegensatz zu Meerie hatte Lotte richtig Ahnung und kannte sich mit Sunrise Avenue aus. Sogar den Text von »Hollywood Hills« konnte sie vorsingen. Ihre Stimme klang gar nicht so schlecht.
Überraschend war sie bereits am frühen Abend zusammen mit Julia in den Klub gekommen, Julia hatte sich aber dann nur mit Luis abgegeben und sich gar nicht mehr um Lotte gekümmert.
Wirklich seltsam, grübelte Oliver und bog in die lange Allee ein. Eigentlich war Julia, was Jungs anging, sehr verschlossen, fast desinteressiert. Wenn Oliver es sich recht überlegte, konnte diese Veränderung nur bedeuten, dass Julia nach dem Tod ihres Vaters endlich begann, ein ganz normales Leben zu führen, so entspannt wie Lotte und alle anderen Mädchen in ihrer Umgebung.
Klar, es passte ihm nicht, dass sie ausgerechnet mit Luis aus seiner neuen Band etwas anfing. Aber er würde sich mit der Zeit schon daran gewöhnen.
Schon sehr bald wurde er achtzehn, auch Julia war im Prinzip erwachsen. Eigentlich total super.
Oliver spürte, dass es gerade enorm aufwärtsging. Nicht nur mit seiner Musik. Die ganze Welt stand ihm offen. Vielleicht sollte er einfach einmal ein Bier mit Lotte trinken gehen. Nichts sprach dagegen.
Die Gedanken, die durch seinen Kopf rasten, hatten ihn wieder einigermaßen munter gemacht. Er freute sich auf gute Musik vor dem Einschlafen und radelte schneller.
Als er in seine Straße einbog, bremste er überrascht.
Vor seinem Elternhaus parkte ein Truck. Der konnte nur diesem Werner gehören. Anscheinend waren die beiden Turteltäubchen da.
Auf ein gemeinsames Frühstück mit seinem neuen Stiefvater hatte er wirklich überhaupt keine Lust. Enttäuscht blieb er stehen und überlegte, was er jetzt tun sollte.
Früher wäre er ohne nachzudenken zu Julia gefahren.
Nicht nur einmal war er mitten in der Nacht durch das Fenster gestiegen und hatte sich zu ihr geflüchtet, weil er es zu Hause nicht mehr aushielt. Nie hatten ihre Eltern nach dem Grund gefragt, wenn er seinen Kummer nicht von selber loswerden wollte. Er war einfach immer willkommen gewesen.
Heute war das nicht mehr sicher. Nach dem Tod von Julias Vater konnte er sie eine Weile gar nicht ertragen und das hatte ihm besonders Julias Mutter übel
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