Herzgespinst - Thriller
hatte, wenn er schlief.
Sie kniete sich neben ihn ins Stroh und schaute ihn an.
Länger als eine ganze Ewigkeit saß sie einfach nur still da und bewachte seinen friedlichen Schlaf.
Plötzlich bewegte sich Oliver und seufzte tief. Sein Mund entspannte sich und er begann glücklich zu lächeln. Er murmelte ein paar Worte, aber so sehr Julia sich anstrengte, sie verstand keine Silbe.
Überwältigt von seinem Anblick konnte sie der Versuchung kaum widerstehen, seine Lippen zu berühren. Aber sie wollte ihn auf gar keinen Fall in seinem Schlaf stören.
Die Erkenntnis traf sie wie ein Blitz, aber sie war die so sehnsüchtig erhoffte Erlösung. Das jahrelange Warten hatte sich gelohnt; alles Schreckliche machte plötzlich Sinn.
Durch Julias Herz strömte ein heißes und verzehrendes Gefühl. Gerade als sie bereit gewesen war, ihre Ziele aufzugeben, gestand sie es sich endlich ein:
Sie war rettungslos verliebt und mit jeder Faser ihres Körpers spürte sie die Gewissheit, dass es Oliver genauso ging. Auch wenn er vielleicht noch eine ganze Weile brauchte, bis er alles verstand: Ab jetzt begann ihr gemeinsames Leben und Julia musste nie mehr Angst haben.
14
O liver war so gut gelaunt wie schon ewig nicht mehr. Dabei machte ihn ein Wochenende durchackern mit dem Gedanken auf eine weitere überflüssige Woche Schule sonst immer total fertig.
Zwei Gründe fielen ihm für seinen Stimmungswechsel ein: erstens die Scheune. Nachdem er Julia ausgerechnet dort das Piercing gestochen hatte, war er nicht sicher gewesen, ob er sich mit dieser altvertrauten Umgebung wieder anfreunden konnte, ohne dass er traurig wurde.
Seit er aber alleine in der Scheune übernachtet hatte, wusste er, dass dieser Ort immer etwas ganz Besonderes für ihn bleiben würde.
Am liebsten wäre er sofort auf den Heuboden eingezogen.
Bei dem Gedanken an seinen neuen Stiefvater und was ihn in Zukunft zu Hause erwartete, wurde ihm speiübel. Im Sommer wäre die Scheune als Wohnung für ihn einfach perfekt. Viel besser als ein richtiger Campingwagen oder Zelten im Wald. Waschen und baden konnte er sich ganz easy unten am Fluss.
Wenn die Ferien begannen, starteten dort ohnehin die berüchtigten Beachparties. Der Chef der Roten Sonne hatte bereits zwei LKW -Ladungen Buddelkasten-Sand bestellt. Die wollte er am Flussufer abladen und eisgekühlte Getränke verkaufen.
Fast wie in der Südsee. Eigentlich eine ziemlich abgefahrene Idee, fand Oliver.
Ach, und dann natürlich der zweite Grund: Direkt nach dem Aufwachen hatte er so ein merkwürdiges Gefühl gehabt, als hätten Engel seinen Schlaf bewacht.
Das hörte sich natürlich ziemlich albern an.
Engel, die um ein Bett sitzen und Wache schieben, tauchten als Bild in seinem Kopf auf, seit er ein ganz kleiner Junge war. Er hatte damals eine Zeichnung in einem uralten, in Leder eingebundenes Buch entdeckt, das Julias Vater auf seinem Schreibtisch liegen hatte. Vielleicht war es eine bebilderte Bibel oder ein Kunstband gewesen. Er wusste es nicht.
Jedenfalls glaubte er seit diesem Tag, dass Menschen, die von Engeln bewacht wurden, besser schliefen und schöner träumten als andere und vor allem niemals wieder schlimme Albträume bekamen.
Heute Nacht hatten die Engel endlich einmal bei ihm Zwischenstation gemacht.
Denn er hatte von Lotte geträumt, sie sogar im Traum geküsst, und das war nur ein winziger Teil einer ziemlich schönen Geschichte gewesen. Als er aufwachte, war er einen Moment richtig enttäuscht, dass sie nicht mehr in seinen Armen lag.
Jedenfalls war er nach dieser Nacht sicher, dass er Lotte wiedertreffen wollte und dieser Gedanke beflügelte ihn sehr.
Bereits auf dem Weg zum Probenraum überlegte er, ob er sie anrufen sollte. Aber das war gar nicht nötig. Denn als er dort auftauchte, wartete Lotte bereits auf ihn.
»Hey«, sagte sie schüchtern. »Ich hab’ mitgekriegt, dass ihr heute noch mal für den Auftritt im Zollhaus probt. Da wollte ich gerne …«
Sie schluckte heftig. »Ich meine, darf ich wieder zugucken oder nervt euch das?« Sie schaute sich hilflos um, als ob sie Verstärkung gebrauchen könnte. Aber die restlichen Jungs aus der Band waren noch gar nicht eingetrudelt.
»Die anderen schlafen bestimmt noch«, sagte Oliver ungewohnt verlegen. »Echt faule Säcke. Ich habe wenigstens geackert. Die haben nur Party gemacht.«
Lotte nickte eifrig. »Aber wirklich.«
Dann schwiegen beide eine Weile und guckten dabei haarscharf aneinander vorbei.
Oliver beobachtete Lotte
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