Herzgespinst - Thriller
herum oder er schnarchte im Wohnzimmer vor dem Fernseher. Sobald er Oliver zu fassen kriegte, machte er auf happy family und nervte mit Ratschlägen, die niemand brauchte.
Es gab also wirklich hundert gute Gründe, eher heute als morgen aus diesem Kaff hier zu verschwinden.
Tom hatte ihm fünf Backstagekarten gegeben.
Vier davon hatte Oliver in der Roten Sonne verschenkt, aber die letzte hatte er behalten und sie heimlich in Lottes Rucksack gesteckt.
Er wunderte sich, wie gelassen Luis und Tom hinter dem zugezogenen Vorhang die Bühnenaufbauten checkten. Die Fans draußen machten einen Riesenkrach. Manche hatten bereits ziemlich viel Bier getankt. Da es immer noch so schwül war, zeigte der Alkoholpegel bei ihnen bereits erste Wirkung. Zwei verfeindete Fangruppierungen stritten sich um die Plätze in der ersten Reihe. Genauso ein Szenario hatte er sich schon immer gewünscht. Jetzt musste nur noch er selber eine gute Show abliefern.
Obwohl er sich vorgenommen hatte, mit dem Rauchen aufzuhören, um seine Stimme zu schonen, stellte er sich kurz an den Bühneneingang und zündete sich seine letzte Zigarette an. Die tiefen Lungenzüge hatten die erhoffte beruhigende Wirkung auf ihn.
»Schätze, die hauen den Laden kurz und klein, bevor wir überhaupt begonnen haben«, sagte Luis besorgt und stellte sich neben ihn.
»In der Pampa flippen die Leute immer total aus. Ist ja sonst nichts los. Ich spiele echt lieber in Großstädten, da ist das Publikum entspannter. Das Schlagzeug von Ronnie ist noch nicht mal abbezahlt.«
Oliver sah Luis überrascht an. So hätte er ihn gar nicht eingeschätzt. Er kam eher wie jemand rüber, der selber ganz gerne Hotelzimmer zu Kleinholz hauen würde, einfach, weil er es cool fand.
Oliver schüttelte den Kopf. »Passiert nicht. Die Leute feiern hier bloß gerne.«
Luis holte einen fertigen Joint aus der Tasche und steckte ihn an. Er inhalierte tief und hielt ihn Oliver hin. »Hoffe, du hast recht. Hier, rauch lieber so was. Das ist gut für einen klaren Blick. Zigaretten sind außerdem extrem schädlich.«
Oliver sah ihn zweifelnd an. »Das glaubst du doch nicht mal selber, oder? Wenn ich jetzt einen Joint durchziehe, kriege ich auf der Bühne keinen Ton mehr raus.«
Luis grinste. »Weichei. Alles eine Sache der Gewohnheit. Habe ich sogar meiner Oma gegen ihren Hexenschuss verordnet. Seitdem bin ich ihr Dealer.«
Oliver zerknüllte die leere Zigarettenschachtel und zielte in den Papierkorb.
»Wie geht es mit dir und Julia?«, fragte er beiläufig. Es war ihm nicht entgangen, dass Julia nach den Proben jeden Tag auf Luis gewartet hatte und mit ihm Party machte.
Seit sie Lotte aus dem Probenraum vergrault hatte, hatten sie kaum miteinander gesprochen. Er fühlte sich nicht besonders gut dabei, aber er wollte dieses Mal einfach nicht als Erster einlenken, wie es Julia von ihm gewohnt war. Sie war im Unrecht, und er wollte, dass sie das kapierte.
Trotzdem hatte er ein schlechtes Gewissen deshalb. Er merkte ja, wie sie litt, weil er sie kaum beachtete. Einmal hatte er sogar das Gefühl gehabt, dass sie deshalb weinte.
Aber mit dieser Einmischung hatte sie eine eindeutige Grenze überschritten. Wenn er die Sache nicht durchzog, würde sie es immer wieder machen.
»Wie es mir und Julia geht?«, wiederholte Luis belustigt und zog an seinem Joint. »Na, das müsstest du doch am allerbesten wissen.«
Oliver sah ihn verwundert an. »Warum? Hab ich was verpasst?«
Luis kicherte. »Ihr Landeier seid wirklich verpeilt. Also, mal Klartext: Dein Schneewittchen macht mich total scharf, lässt mich aber nicht ran. Kennst du vielleicht den Grund? Wäre ich nicht so ein friedlicher Mensch, würde ich dir dafür eins aufs Maul hauen.«
Oliver spürte ein unangenehmes Ziehen in seinem Magen. Und das kam sicher nicht von den Zigaretten oder weil er heute noch kaum etwas gegessen hatte.
»Das ist doch Quatsch«, sagte er heiser.
Luis boxte ihm freundschaftlich in die Seite. »Wenn du meinen Rat hören willst. Leg so schnell wie möglich Bambi flach und schaffe damit Fakten. Diese kleine Schwesternnummer riecht nach ’ner Menge Ärger, Alter.«
Oliver schüttelte den Kopf. »Totaler Quatsch«, wiederholte er. »Woher willst du das so genau wissen?«
Luis löschte die Glut von seinem Joint und steckte den Stummel in eine leere Pfefferminzdose. »Wir Kiffer sind legendäre Wahrsager, hast du das noch nicht mitgekriegt? Ich stehe auch gerne als Schneewittchens Tröster parat, wenn es Tränen
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